Analyse
: Randgruppe Kind?

■ Verfassungsrichter haben Rot-Grün an die Familienentlastung erinnert

Der kinderfreundliche Karlsruher Beschluß, Familien von der erdrückendsten Steuerlast zu befreien, wird den Staatshaushalt teuer zu stehen kommen – das ist gewiß. Der Richterspruch ist aber gleichzeitig auch ein Geschenk für die neue Regierung. Die Verfassungsrichter haben die rot-grünen Koalitionäre an eines ihrer wichtigsten Reformprojekte erinnert: das Leben mit Kind ernst zu nehmen. Unter der vermeintlich so kinderfreundlichen Unions-Ägide war das anders. Da wurde die Situation von Kindern objektiv wie subjektiv schlechter. Über ein Drittel der Sozialhilfeempfänger sind inzwischen jünger als 18 Jahre. Junge Paare, die sich für das Kind entschieden haben, durften schnell das unausgesprochene Motto der Christenunion erkennen: Das ungeborene Kind schützen – um das geborene in die Sozialhilfe rutschen zu lassen.

Rot-Grün hat, zunächst aus der Not des Termindrucks für die Steuerreform, die Karlsruher Steilvorlage genutzt. Es hat ein Familienentlastungsgesetz angekündigt. Nun entpuppt sich daraus ein nicht geplanter Schachzug: Im Sommer wird den Familien ein eigenständiges Gesetz geschenkt, das die gesamte Steuermaterie rund ums Kind auflistet. Kindergeld sowie Kinderfreibeträge und -betreuungskosten, auch ein Haushaltsfreibetrag und das Schulgeld kommen da hinein. Kein Jugendverband hätte sich das träumen lassen: Die Regierung kümmert sich ums Kind! Das ganze Land diskutiert nun und erkennt erst jetzt so richtig, daß das kein Randgruppenthema ist, sondern eine hinter dem Berg der Steuerprogression verborgene „schreiende Ungerechtigkeit“ (Schröder). Selbst einige in der Union sehen das so.

Die erheblichen Kosten der Familienentlastung werden die Sache – ausnahmsweise – befördern. Die geschätzten zehn Milliarden Mark (im Budget für das Jahr 2000) und die rund zwanzig Milliarden (ab 2002) sind nicht etwa Unsummen, sondern gerade genug, um Aufmerksamkeit zu erringen. Wie sich die zweistellige Milliardensumme auf das Staatsbudget als ganzes auswirkt, vermag derzeit niemand seriös zu sagen. Die Effekte der ersten rot-grünen Steuermaßnahmen, die Erleichterungen ebenso wie die Subventionsstreichungen und der Umstieg auf die Ökosteuer, müssen sich erst zeigen. Es besteht also kein Grund, die Steuerreform zu begraben. Der Etat für das Jahr 2000 wird ohnehin ernsthafte Spardiskussionen bringen – die Koalition in Bonn spricht von „Blut und Tränen“. In der Regel schneiden weiche Ressorts wie Familie und Jugend bei solchen einschneidenden Debatten schlecht ab. Im nächsten Jahr wird das anders sein, weil die Richter die Prioritäten der Politik auf das Kind festgelegt haben: Dafür war das Urteil aus Karlsruhe gut. Christian Füller