: Schlagbaum des Ich
Angela Guerreiros Tanztheater „Permanent Prints“ ist ein zerfahrenes Puzzle der Identitäten ■ Von Birgit Glombitza
Hinter den Augendeckeln beginnt ein Reich. Grenzgänger müssen Innen nach Außen stülpen, wollen sie über den eigenen Rand zu dem des anderen schauen. Ich und Nicht-Ich stehen im Grundbuch der Leibeigenen. Jeder weiß, wo sein Körper zu Ende ist. Schlagbäume gibt es mehr als genug: An der ausgefahrenen Fingerspitze, an der ausgestreckten Fußsohle, an der ausgeschöpften Sprache, an der anklopfenden Sehnsucht. Und so zupft und zieht man an seiner Hülle wie an einer Bettdecke oder an der Wahrheit, die immer irgendwo zu kurz bleibt und einem kalte Füße einbringt.
Sich abtasten, Spuren hinterlassen, sich erinnern – daraus hat Angela Guerreiro zusammen mit den TänzerInnen Cristina Moura, Aloiso Avaz und Marc Rees ihr neues Tanzprojekt Permanent Prints entworfen, das am Samstag abend auf Kampnagel Premiere hatte. Das dreiteilige Puzzlespiel an der eigenen Identität reicht vom Entdecken und Auseinanderdividieren der Körperteile bis zu motorischen Experimenten mit der Körperschwerpunkt-Achse. Finger, Hand und Arm als sonderbare Einzelteile, die erst nach anatomischen Erkundungen sich in solidarischen Bewegungen erproben. Der Kopf wird zur Trommel, der Zungenschlag zum klackenden Komma im babylonischen Rap. Eine Kühlbox auf der Bühne birgt Utensilien für den aufgeschlossenen Freizeitmenschen. Und wenn Avaz über die kleinen Eisriegel balanciert, verabschieden sie sich mit einem Schmatzlaut von ihrer festgefrorenen Form.
Mit einem Stuhl auf einem Quadratmeter Grün ziehen Guerreiro und Moura um ins zweite Bild. Ein Duett aus Abgrenzungen und sychronem Einvernehmen beginnt. Eine clowneske Doppelgängerschaft, in der sich das Duo gegenseitig Arme und Beine leiht, bis der Rest jedes Einzelwillens sich schließlich in wüsten Beschimpfungen entlädt. In einem Mein-und-dein-Streit posen Hintern und Brüste um die Aufmerksamkeit des Publikums. „Das ist keine Erotik-show, das ist ein work-in progress“, verkündet Guerreiro mit ironischer Patzigkeit.
Doch am Ende ist auch dieser Einfall nicht mehr als einer von vielen, die sich weder mit Erfinderstolz noch mit Radikalität brüsten können. Denn daß Tänzer aus ihren Kinderzimmern plaudern, „We won't move“-Manifeste installieren und die knappsten Bewegungen als Attraktion ausrufen, malt im Tanztheater der letzten 20 Jahre kein Ausrufezeichen mehr. So gerne man Moura und Guerreiro auch dabei zuschaut, wenn sie mit albernen Perücken ein Ballett der geflochtenen Zöpfe aufführen, so sehr verliert sich die einzelne inszenatorische Idee in einem fahrigen Bogen. Ein Körpertheater, das mit einfachen Bewegungen und individuellen Erzählungen eine Choreographie schnörkelloser Wahrhaftigkeit anstrebt, hat es ohne nachhaltige Zuspitzungen und Pointierungen schwer. Was übrig bleibt, ist ein zerstreutes Puzzlespiel, dessen Flüchtigkeit nicht aufregender ist als das Raumdeo, mit dem Marc Rees seine Dating- und Rugby-Anekdoten einnebelt.
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