Wendig in Richtung Stagnation

Aufwendig die Einladung. Schön die Veranstaltung. Doch muß am Ende ihre Institutionalisierung stehen? Bert Papenfuß, Judith Hermann, Andreas Neumeister, Thomas Kapielski & Ulrich Schlotmann lasen in der FU  ■ Von Gerrit Bartels

Zwischen dem, was die Universitäten an Vorlesungen und Seminaren bezüglich „Neuer Deutscher Literatur“ anbieten, und dem, was an zeitgenössischer Literatur geschrieben, veröffentlicht und vermarktet wird, besteht noch immer eine große Diskrepanz. Zu diesem Schluß konnte man einmal mehr kommen bei der von Studenten im Rahmen der Vorlesung „Stagnation und Wende – Literatur der 80er und 90er Jahre“ initiierten Lesung mit Bert Papenfuß, Judith Hermann, Andreas Neumeister, Thomas Kapielski und Ulrich Schlotmann, die am Freitag nachmittag an der FU stattfand. Volles Haus im Raum L31/19 hieß es da, bestimmt dreihundert Studenten wollten sehen und hören, ob Mathias Politickis Spruch „Literatur muß sein wie Rockmusik“, der der Lesung als Trailer diente, seine Berechtigung hat oder nicht.

„Hat er das wirklich gesagt“, fragt Andreas Neumeister eher rhetorisch, „das ist doch Quatsch, auch wie Popmusik soll Literatur nicht sein.“ Er liest dann aber ein Stück aus seinem Buch „Gut laut“ – mit einem ganz eigenen Rhythmus, mit Strophen, Refrains, Breaks und Samples wie beispielsweise „Bessere Zeiten klingt gut“ von der Ex-Hamburger Band Kollossale Jugend. Auch Zeitungen, Radios, alte und neue Popmusik und vieles andere mehr klingt bei ihm gut. Oder auch nicht: Seine 120 Wörter, Wendungen, Formeln und Widersprüche hat Neumeister bestimmt in der Minute.

Während bei ihm das Etikett „Popliteratur“ formal und inhaltlich so manche Berechtigung hat, so ist es bei Judith Hermann eher der Wirbel um Buch und Person, der für den Pop sorgt. Keine Zeitung, die ohne ihr Konterfei auskam, unermüdlich schaltete ihr Verlag nach der positiven Besprechung von „Sommerhaus, später“ im „Literarischen Quartett“ Anzeige auf Anzeige, und mittlerweile werden Hermanns Lesetouren wie die einer Rockband beworben. Da kommt die Aura ganz von allein auf Siebenmeilenstiefeln angelaufen, während die guten, dann aber wieder auch nicht so überragenden Sommerhaus-Geschichten etwas auf der Strecke bleiben.

Wie immer ein wenig schnell und atemlos liest Hermann, paßt sich damit aber dem Rhythmus ihrer Sätze an und bringt so auch gut das Dunkle und Melancholische ihrer Prosa zum Schwingen. Komischerweise wird im Publikum viel gelacht, obwohl die (Titel-) Geschichte, die sie liest, eine eher traurige ist. Selbst Hermann kann sich einmal ein Lachen nicht verkneifen, und vielleicht sollte man ihr Buch demnächst mal auf dessen humorige Züge untersuchen.

Zwar bekommt Judith Hermann, deren Auftritt an den einer zurückhaltenden, aber selbstbewußten Folk-Diva erinnert, den stärksten und langanhaltendsten Beifall, doch Höhepunkt der Veranstaltung ist Thomas Kapielskis Leseshow. Die Rückkehr des Grebos in die Neunziger; Literatur muß dreckig sein und auch in der Kneipe funktionieren; Pop will eat itself: Kapielski weiß sich zu inszenieren, „Ich bin da, ich bin da“, ruft er schon während Hermanns Lesung, und zuerst denkt man, der kantig und wuchtig wirkende Mann hat sie nicht alle, der steckt sich in der Tat nur allzu gern „ein Helles ins Gefries“, um es mit seinen Worten zu sagen.

Doch Kapielski feiert sich, die Biere und sein neues Buch in time, er scheint dann doch zu wissen, wo seine Grenzen sind, an welchen Stellen er die Show nicht aus dem Ruder laufen lassen darf. „Als ich einmal im Blauen Affen saß“ beginnt er mehrmals, bricht dann ab: „Lest das doch selber, deswegen habe ich das doch geschrieben, sonst hätte ich's ja gleich erzählen können“, erzählt Anekdoten und Kalauer, um dann aber nicht unstringent noch eine längere Passage über die taz vorzulesen. (Macht er angeblich immer, sein Rauswurf wegen Verdachtes auf Kryptofaschismus ist wohl ein Trauma, das verarbeitet werden will.)

Wie seine Kollegen, von denen es Bert Papenfuß als Vorgruppe von Judith Hermann und Ulrich Schlotmann als Kapielski-Follow naturgemäß schwer haben, flieht aber auch Kapielski so schnell als möglich den Seminarraum der FU: Diskutieren mag so recht niemand der versammelten Literaten, andere Lesungstermine rufen angeblich. Der Professor ist dann aber trotzdem mehr als zufrieden und fordert seine Studenten auf, sich umzuhorchen und öfter die „Literatur von draußen“ in Form von Schriftstellerlesungen zu organisieren. Ob es aber Sinn macht, solche Veranstaltungen gleich wieder „zu institutionalisieren“, wie er sich das so vorstellt? Das klingt dann doch wieder mehr nach Stagnation als nach Wende.