„Es geht schließlich um Leben und Tod“

■ Türkische Jugendliche und Polizisten diskutierten in der Türkischen Gemeinde, nachdem sie sich auf der Straße als Feinde gegenübergestanden haben

Zuerst haben sie sich auf der Straße getroffen und die Fäuste sprechen lassen: türkische Jugendliche und Polizisten. Als sich am 27. Dezember vergangenen Jahres in Kreuzberg ein Türke und ein Deutscher stritten und türkische Jugendliche versuchten, einen festgenommenen Mann zu befreien, schickte die Polizei einhundert Beamte und sperrte die Dresdener Straße kurzerhand ab. Eine türkischstämmige Polizistin, die verprügelt und beleidigt wurde, etwa 50 aufgebrachte türkische Jugendliche und frustrierte Polizisten waren das Ergebnis.

Am Samstag nachmittag traf sich ein Teil der Beteiligten wieder: in den Räumen der Türkischen Gemeinde, nur wenige Meter entfernt vom Ort der Auseinandersetzung, die drei Tage nach Weihnachten stattgefunden hat. Statt auf der Straße sollte am Runden Tisch geredet werden. Zehn türkische Jugendliche und eine Handvoll junger Polizisten saßen sich nun gegenüber. Die Jungs im legeren Outfit, die Polizisten im Anzug. Auf dem Podium Vertreter der türkischen Gemeinde, der Polizei und der SPD-Bundestagsabgeordnete Ekkehardt Barthel, der lange Zeit im Berliner Abgeordnetenhaus ausländerpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion war.

Schnell hatten sich die Beteiligten auf ein unkompliziertes Du geeinigt und kamen ohne Umschweife zur Sache. „Wenn ihr schon den Staat schützen wollt, müßt ihr die Polizeischüler auch sozial schulen“, sagte Hakan, ein 19jähriger mit schwarzer Wollmütze mit der Aufschrift „Kreuzberg 36“, der sich als Sprecher der Jugendlichen hervortat. Hakan räumte freimütig ein, mit 14 Jahren zum ersten Mal kriminell geworden zu sein. Großen Wert legte er auf die Erwähnung, daß er bei den „Islamic Force“ rappt. „Ihr habt Arbeit, eine Uniform und eine Waffe, wir müssen gucken, wie wir durchkommen“, beschrieb er die beiden Seiten, die sich am 27. Dezember gegenüberstanden. Es folgte eine Flut von Vorwürfen: Oft seien die Polizisten zu unerfahren, hätten Vorurteile gegen Ausländer, würden autoritäre Blaulichter einer verbalen Auseinandersetzung vorziehen, keine Rücksicht auf die Religion nehmen – kurzum, die Jugendlichen nicht ernstnehmen. Schlägt die Polizei zu, sei das Notwehr, tun sie das, sei das kriminell. Geduldig hörten die Polizisten zu, während ihnen türkischer Tee und Gebäck gereicht wurde. „Man darf eins nicht vergessen“, entgegnete ein junger Beamter, „ich komme nicht zum Dienst wegen Repressalien gegenüber Ausländern“. Man könne zwar nicht ausschließen, daß es unter den Polizisten „schwarze Schafe“ gebe, doch „in Uniformen stecken Menschen.“ Auf Dauer sei die Arbeit nur gut zu machen, „wenn man sich gut unterhält“. Bei den Auseinandersetzungen im Dezember seien seine Verhandlungsversuche abgebrochen worden. „Keiner hörte uns zu“, so der Polizist. K.-D. Schelske von der Landespolizeischule verwies auf Sozialpraktika und Konfliktbewältigungstraining in der Ausbildung. „Wir müssen sehen, wie Theorie und Praxis im Kiez umsetzbar sind“, fügte er hinzu. Als ein Jugendlicher darauf beharrte „keiner versuchte, mit uns zu reden“, stellte Schelske klar, daß die Polizei Zwang anwenden dürfe. „Aber nicht bei Unschuldigen“, so ein Jugendlicher. „Es geht nicht um schuldig oder unschuldig“, entgegnete Schelske, „die Polizei muß sich erst mal ein Bild vor Ort machen“. Die Erklärungsversuche zeigten nicht das gewünschte Echo. „Wenn die Polizisten damit nicht klarkommen, sollten sie das nicht machen“, sagte einer der Jugendlichen, „es geht schließlich um Leben und Tod“. Wurden die Jungs drastisch in ihrer Wortwahl, zeigte sich die Polizei pathetisch. „Es geht um die Beeinträchtigung der Würde der Polizei“, so Schelske. Nicht jeder Polizist dürfe als Feind betrachtet werden.

Auch der Vizepräsident der Türkischen Gemeinde, Taciddin Yatkin, kam nicht so richtig zum Zuge. Irgendwie belanglos klang seine Frage „Wie verbringt Ihr eure Zeit?“ Die Jugendlichen antworteten so, wie sie glauben, ohnehin wahrgenommen zu werden. „Wir pöbeln die Polizei an, rauben Leute aus und sind kriminell.“ Ein anderer zeigte mehr Bodenhaftung: „Wir haben keine Arbeit und genug Probleme auch ohne die Polizei.“ Der SPD-Bundestagsabgeordnete Ekkehardt Barthel, räumte zwar ein, daß es in der Vergangenheit zu wenig Integrationsmaßnahmen gegeben habe. Doch die Politik könne nur die „Rahmenbedingungen“ liefern. Sie müßten mehr Integrationsbereitschaft zeigen, forderte er von den Jugendlichen. Nach längerer Diskussion wurde klar, wie unterschiedlich die Ereignisse im Dezember wahrgenommen wurden. Für die Polizei war es anfangs ein normaler Einsatz wegen gefährlicher Körperverletzung. Zwei Streifenwagen wurden losgeschickt und nahmen den vermeintlichen Täter fest. „Dann schaukelte sich die Lage rasant hoch, Unbeteiligte versuchten, den Festgenommenen zu befreien“, so Stefan Weis, der Leiter vom Kreuzberger Polizeiabschnitt. „Es waren zwei türkische Polizeibeamte vor Ort, die mußten sich Beleidigungen der übelsten Art anhören und wurden als Verräter bezeichnet.“ Für die Jugendlichen jedoch steht fest, daß die Polizei sich zumindest „ungeschickt“ verhalten hat. „Es war die Hochzeit eines Freundes. Da hat man getrunken und gefeiert. Zwei stritten sich und bewarfen sich mit Flaschen. Dann trennten sie sich und keiner von uns rief die Polizei“, so einer der damals Beteiligten. „Das war ein älterer Bruder von uns, der betrunken war. Wenn er keine Schuld hat, schlagen wir zurück.“ Hakan brachte es schließlich wieder auf den Punkt: „Wir haben eine andere Kultur.“ Mitleid für die verletzte türkische Polizistin, die mehrere Tage im Krankenhaus lag, zeigten die Jugendlichen nicht. „Der ist doch nichts passiert“, so Hakan. „Ich hätte Polizist werden sollen, nicht sie“, schimpfte er. Dann erzählte er, wie er als Kind von diesem Beruf geträumt habe. Doch statt dessen ist er kriminell geworden und hat seine eigene Philosophie entwickelt. „Du mußt immer cool bleiben“, sagte er zu einem jungen Polizisten, „ich kann sauer werden, ich bin ja kein Beamter.“ Die Hoffnung der Polizei, in Zukunft ohne einen Einsatz miteinander auf der Straße zu reden, kommentierte Hakan mit einem Versprechen: „Wir werden versuchen, cool zu bleiben.“ Mit einem „dreifachen Hiphop“ dankten sie den Polizisten für ihr Kommen.

Barbara Bollwahn de Paez Casanova