„Jeder Mensch macht jeden Tag Fehler“

■ Hat er was falsch gemacht? Führt er die CDU an den rechten Rand? Der CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble über die ersten hundert Tage in der Opposition, über die Unterschriftenaktion gegen den Doppelpaß und sein Verhältnis zu CSU-Chef Stoiber

taz: Haben Sie aus Ihrer eigenen Sicht seit der Wahl zum CDU- Vorsitzenden Fehler gemacht?

Wolfgang Schäuble: Jeder Mensch macht jeden Tag Fehler, aber grundlegende Fehler, die ich gemacht hätte, sehe ich eigentlich nicht.

Es gibt Leute in der eigenen Partei, die Ihnen vorwerfen, vor wichtigen Entscheidungen intern nicht genug kommuniziert zu haben. Kritiker sagen, daß sie sich unter der neuen Diskussionskultur nicht vorgestellt hätten, anstehende Entscheidungen aus der Zeitung zu erfahren.

Die Leute sagen mir das nicht.

Aber uns.

Dann machen diese Leute offenbar das, was sie anderen vorwerfen. Sie reden nicht in den Gremien, sondern sie reden gegenüber Journalisten. Wir haben in den Sitzungen von Präsidium und Bundesvorstand der CDU alle Fragen erörtert. Ich bin an Indiskretionen, die es gegeben hat, nicht schuld. Ich habe sie nicht begangen. Aber ich habe auch Kommentare gelesen, man vermisse eine straffe Führung, es werde zu viel diskutiert. Das hebt sich gegenseitig ein bißchen auf. Wissen Sie, in der Politik spielt immer auch Wettbewerb eine gewisse Rolle. Kein Nachfolger von Helmut Kohl kann von vornherein dessen Autorität und Ansehen haben. Also gibt's da dann auch offenere Situationen. Das ist doch völlig legitim.

Bleiben wir bei den Indiskretionen. Sowohl bei der Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft als auch im Zusammenhang mit Ihrer Wahl für die Kandidatin ins Amt des Bundespräsidenten haben Sie mit Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber gesprochen, und beide Male trat er vor die Medien.

Nein. Im zweiten Fall ist das absolut falsch.

Auf dem Strategiegipfel der Union haben Sie sich zu Frau Schipanski nicht geäußert. Herr Stoiber hat bei seiner Anreise vor den Kameras begründet, warum das eine so gute Wahl ist, und erschien so wieder einmal als derjenige, der die Fäden im Hintergrund zieht.

Meine Absicht, Frau Schipanski vorzuschlagen, ist durch Nachforschungen von Journalisten herausgekommen. Wer immer darüber geredet hat, es war ganz sicher nicht Edmund Stoiber. Ganz sicher nicht. Es ist eine Eigenheit von mir, in der Regel vor Sitzungen Antworten in die mir hingehaltenen Mikrofone zu verweigern. Sich anders zu verhalten hat aber mit Indiskretion nichts zu tun.

Ihr Vertrauensverhältnis zu Edmund Stoiber ist also ungebrochen?

Es ist gut. Völlig unbelastet.

Wollen Sie eigentlich die gemeinsame Unterschriftenaktion der Union gegen die doppelte Staatsbürgerschaft als eine Art Volksabstimmung verstanden wissen?

Nein. Es ist das Recht der freien Meinungsäußerung. In dieser Frage empfinden die Menschen in besonders starker Weise das Bedürfnis, ihre Meinung zu äußern. Dafür bieten wir ihnen ein Instrument an in der Hoffnung, daß diese klaren Äußerungen vieler Menschen ihren Eindruck auf diejenigen, die die Mehrheit im Parlament haben, nicht verfehlen. Das ist der Sinn dieser Aktion, und den erfüllt sie bis jetzt. Wenn man die internen Diskussionen der SPD ein bißchen verfolgt, dann kann man das ja sehen.

Innenminister Otto Schily hat Ihre Unterschriftenaktion zum Anlaß genommen, der Union Verhandlungen über die Stärkung des plebiszitären Elements in der Verfassung anzubieten. Sie sind ein Gegner des Volksentscheids. Warum?

Weil ich glaube, daß sich viele Fragen in der Kompliziertheit der Entscheidung nicht auf Ja oder Nein reduzieren lassen. Vor allem aber deshalb, weil Volksentscheide im Zweifel nicht innovationsfreundlich sind, sondern eher das Bestehende verteidigen. Der Widerstand gegen notwendige Modernisierungsentscheidungen ist groß genug. Ich möchte ihn nicht durch die Einführung plebiszitärer Elemente im Grundgesetz vergrößern.

Ihre Schwesterpartei CSU befürwortet den Volksentscheid. Machen Ihre Argumente Eindruck auf deren Vorsitzenden Edmund Stoiber?

Das müssen Sie ihn selber fragen. Jedenfalls war er zu meinem Vorschlag einer Unterschriftensammlung positiv eingestellt. Ich glaube, er ist durchaus erleichtert, aus einer etwas schwierigen Situation auch in seiner eigenen Partei hinsichtlich der Debatte um den Volksentscheid einen Ausweg von mir angeboten bekommen zu haben.

Hätte es die Unterschriftenaktion auch gegeben, wenn die Bundesregierung sich auf das Optionsmodell für ausländische Kinder geeinigt hätte, das nach dem 18. Lebensjahr eine Entscheidung für eine einzige Staatsbürgerschaft vorsieht?

Unsere Aktion richtet sich gegen die regelmäßige Hinnahme doppelter Staatsangehörigkeit. Wir sind in der Mehrheit nicht für das Optionsmodell, aber eine Unterschriftensammlung hätte es dagegen vermutlich nicht gegeben.

Wäre das Optionsmodell für Sie ein möglicher Kompromiß, der bei Verhandlungen mit der Bundesregierung über das Thema herauskommen könnte?

Worüber soll ich jetzt verhandeln? Die Regierung soll den Unfug der regelmäßigen Hinnahme doppelter Staatsangehörigkeit aufgeben. Darüber brauchen wir nicht zu verhandeln, das braucht sie nur zu tun. Aber wenn sie mit uns sprechen will, sind wir immer zu Gesprächen bereit.

Sie betonen häufig, die Partei der Mitte zu sein. Nun gibt es ja Leute, die Ihre Unterschriftenaktion nicht gerade als Ausdruck einer Politik der Mitte verstehen.

Diese Leute gibt es, ja.

Es gibt auch Leute, die unterschrieben haben und hinterher gegenüber Journalisten offen rechtsradikales Gedankengut geäußert haben. Erwecken solche Verbündeten in Ihnen kein Unbehagen?

Es sind keine Verbündeten. Das sind Einzelfälle, die es sicherlich gibt. Aber eines ist ganz sicher: In vielen Städten, wo wir Unterschriften sammeln, sammeln ein paar Meter weiter Rechtsradikale auch Unterschriften zu diesem Thema. Die Stände der Rechtsradikalen sind leer, die Leute unterschreiben bei uns. In der großen Mehrheit bewirkt unsere Aktion, daß die Rechtsradikalen keine Chance haben, dieses unselige Vorhaben von Rot-Grün zum Zwecke der Ausländerfeindlichkeit auszunutzen. Deswegen leisten wir einen Dienst für den inneren Frieden in diesem Lande.

Ich habe ja gelegentlich den Verdacht geäußert, daß hinter dem provozierenden Vorhaben von Rot-Grün vielleicht auch bei manchen der Gedanke sein könnte, man könnte auf diese Weise die Rechtsradikalen stärken.

Und Sie werfen Ihren politischen Gegnern vor, mit Unterstellungen zu arbeiten? Wenn das keine ist.

Ich habe gesagt, ich schließe nicht aus, daß manche so denken. Die Hälfte der sozialdemokratischen Mitglieder hält es für falsch, die regelmäßige doppelte Staatsangehörigkeit hinzunehmen. Man kann über vieles in diesem sensiblen Bereich vernünftig miteinander reden. Aber die regelmäßige doppelte Staatsangehörigkeit in jedem Fall ist ein Akt der Provokation. Da bin ich mir bei den Absichten, die manchen da in den Köpfen herumspuken, nicht so sicher.

Wenn es also in den nächsten Monaten zu ausländerfeindlichen Übergriffen kommt, dann sagen Sie, die Regierung mit ihrem provozierenden Vorhaben sei schuld, und Sie trügen dafür keine Verantwortung?

Wir tun unser Möglichstes, um solche Übergriffe zu verhindern.

Einmal abgesehen vom Thema Staatsbürgerschaft: Wie bewerten Sie die Arbeit der Bundesregierung bisher insgesamt?

Die Regierung macht mehr Fehler als selbst ich ihr in dieser kurzen Zeit zugetraut hätte. Mit großem Getöse wird losgeprescht. Dann kommt nach 200 Metern eine Vollbremsung. Zwei Tage später geht's mit großem Getöse wieder los, aber in die umgekehrte Richtung. Nach zweihundert Metern ist wieder eine Vollbremsung, und dann ist man wieder genau da, wo man vorher war. Das Ergebnis ist leider nicht nur Spott und Hohn, sondern Verunsicherung. Diese Verunsicherung führt dazu, daß ein Drittel der im Herbst letzten Jahres geplanten Investitionen für 1999 nach Aussage der Industrie- und Handelskammer jetzt zurückgestellt worden sind. Das ist der Schaden, den diese Regierung schon in den ersten 100 Tagen angerichtet hat.

Interview: Bettina Gaus/ Markus Franz