100 Jahre im Dienste der Natur

Gegen die Zugvogelmorde und die „thörichte Mode, Vogelbälge auf den Hüten zu tragen“ wurde einst der Bund für Vogelschutz gegründet. Heute wird der Nabu 100  ■ Von Matthias Urbach

Berlin (taz) – Vor einem Jahrhundert war Vogelschutz schwer in Mode. Damals rissen sich Frauen ihre mit den Federn von Paradiesvögeln geschmückten Hüte vom Kopf und schworen, nie wieder solche zu tragen. Sie erregten damit so viel Aufmerksamkeit wie heute Foto-Models, die erklären, lieber nackt als mit Pelz zu posieren.

Vor genau 100 Jahren wurde in Deutschland der Bund für Vogelschutz (BfV) gegründet, und bald wollten auch der Industrielle Robert Bosch, der König von Schweden und US-Präsident Woodrow Wilson Mitglied sein. Bis zum Ersten Weltkrieg hatte der erste überregionale Naturschutzverband Deutschlands über 41.000 Mitglieder. Doch wenn heute Vereinspräsident Jochen Flasbarth die Geburtstagstorte anschneidet, dann schmeckt ihm der Kuchen nur deshalb so gut, weil der BfV inzwischen „Naturschutzbund (Nabu)“ heißt und es Flasbarth und einigen Mitstreitern gelungen ist, den Verein vom schmalspurigen Vogelschutz abzubringen.

Am 1. Februar 1899 gründet die Industriellengattin Lina Hähnle den BfV, den sie von ihrer Villa aus führt, um „den Massenmord der Zugvögel“ und „die thörichte Mode, Vogelbälge auf den Hüten zu tragen, energisch zu bekämpfen“. Der BfV druckt Flugblätter, macht Pressearbeit und Eingaben ans Parlament – all das, was auch heute noch zum Repertoire eines Umweltverbandes gehört.

Die Naturschützer waren streng staatstragend und konservativ. Die Bewegung war ein bürgerlicher Reflex auf den raschen sozialen Wandel, der Versuch, das verklärte Ideal der Dorfgesellschaft zu verteidigen. Die Natur wurde zum Ursprung allen Volkstums verklärt: Es sei „ohne Natur keine Naturliebe und ohne diese keine Vaterlandsliebe möglich“, schreibt ein BfV-Funktionär 1919.

Schwerpunkt der BfV-Arbeit ist der Vertrieb von Vogelhäuschen und Winterfutter. 1908 gelingt ein erster Lobbyerfolg mit der Novelle des Vogelschutzgesetzes. Es folgt der Ankauf mehrerer Naturflächen und deren Betreuung. Doch in den 20ern erlahmt der Boom des BfV unter den vielen Wirtschaftskrisen. Obgleich keine Ahnen der Nazis, fühlen sich die Vogelschützer 1933 dem „Blut und Boden“- Ideal Hitlers verbunden: „Freudig stellen wir uns hinter den Führer.“ Alle Naturschutzverbände werden im BfV gleichgeschaltet, der fortan Reichsbund für Vogelschutz heißt.

Seine Sympathie mit den alten Machthabern bezahlt der BfV nach dem Krieg mit jahrzehntelanger Stagnation. Während des Wiederaufbaus finden Naturschützer ohnehin kaum Gehör. Der BfV konzentriert sich auf „die Erhaltung der natürlichen Helfer bei der Schädlingsbekämpfung im ernährungswirtschaftlichen Interesse“. 1966 nennt sich der Verband in Deutscher Bund für Vogelschutz um und macht den Weißstorch zum Wappentier. Doch während die Studenten gegen „den Muff aus tausend Jahren“ auf die Straße gehen, ist der DBV politisch wie gelähmt. Sein 70jähriges Jubiläum begeht er 1969 „in aller Stille“.

In diesem Jahr macht die sozialliberale Bundesregierung Umweltschutz erstmals zum Regierungsziel. Durch das europäische Naturschutzjahr 1970 („es ist fünf vor zwölf“) und 1972 durch den Bericht des Club of Rome („Die Grenzen des Wachstums“) kommen neue Impulse. So begründet der DBV 1970 seine Kampagne „Vogel des Jahres“, bleibt jedoch thematisch unbeweglich.

Während sich 1975 der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) mit einem explizit politischen Ansatz deutschlandweit gründet, lehnt der Verband es 1978 noch immer ab, seine Selbstbeschränkung aufzugeben und erklärt zu Gorleben: „Kernenergie stehen wir mit zurückhaltender Skepsis gegenüber, fühlen uns aber nicht kompetent.“

Doch es gärt im DBV. Über die Jugendverbände dringt das basisdemokratische, emanzipatorische Gedankengut der neuen Umweltbewegung auch in den DBV. Das Präsidium warnt in der Verbandszeitung Wir und die Vögel vor einem „Staat im Staate“ und versucht die Wortführer der jungen Naturschützer auszuschließen, darunter den heutigen Präsidenten Flasbarth, doch unterstützt aus einigen Landesverbänden gewinnen die Jungen die Machtprobe. Seitdem erweitert der DBV sein Themenfeld, gründet eine Lobby-Geschäftstelle in Bonn und nennt sich 1990 schließlich im Zuge der Vereinigung mit ostdeutschen Naturschützern um in den „Naturschutzbund Deutschland“.