Briefe auf Güterwagen

■ Gillian Welch & Co spielten ländliche amerikanische Musik

Der Sonntag ist nach Maßgabe der kulturellen Vorgaben des christlichen Abendlandes eigentlich genau der richtige Tag für derlei Erbaulichkeiten. Die amerikanische Folklore gibt sich schließlich nicht selten gottesfürchtig und puritanisch. Auch wenn in ihr häufig vom Suff die Rede ist, vom Ehebruch und von Mord und Totschlag. Dafür leidet es dann auch immer tüchtig, das Personal, das durch diese Songs geistert. In 'Long Black Veil' beispielsweise wird die Geschichte eines Mannes erzählt, der wegen eines Mordes gehenkt wurde, den er nicht begangen hat. Zwar hätte er ein Alibi gehabt, nur hätte er dann zugeben müssen, in den Armen der Frau seines besten Freundes gelegen zu haben. Nun weint die Frau seines besten Freundes an seinem Grab nächtens bittere Tränen unter einem langen schwarzen Schleier.

Gillian Welch und David Rawlings spielten diesen Klassiker am Sonntag im Moments mit der gleichen stillen Eindringlichkeit, wie ihre eigenen Songs und etwas weniger bekannte Perlen. Daß sie dabei wahrscheinlich eher zu den Leuten gehören, die diese Musik nicht gerade in einer 12-köpfigen Tagelöhnerfamilie in den Bergen von Kentucky kennenlernten, sondern eher durch hippe Grenzgänger wie Gram Parsons und Townes Van Zandt, von dem sie auch einen Song spielten, dürfte den eher abgeklärten Ton der beiden bedingen. Durchaus vertraut mit Spieltechniken des Bluegrass, verfallen sie doch nie in dessen verschrobene Raserei oder allzu authentische Religiosität. Dabei ging es um durchaus klassische Topoi des Verlassenwerdens auf der einen, des Weiterziehens auf der anderen Seite und der Liebe, die dazwischen auf der Strecke bleibt, manifest in den Zeilen: „Ich werde dir einen Brief auf einer staubigen Güterwagenwand schreiben.“

Ohne sich über derlei Pathos lustig zu machen, ließen Welch und Rawlings die traurigen Songs in den Raum fließen, wo die scheinbar zerbrechlichen Gebilde aus supergeschmackvollem Picking und enggeführtem Harmoniegesang einem mittelalterlichen Publikum hervorragend reingingen. Ganz betütert und betulich wurde sogar Szenen-Applaus spendiert, wenn Rawlings soliert hatte. Es waren ja auch zwei sympathische Leute, die Welch mit Studentenbrille und den Haaren streng nach hinten, der Rawlings mit verzücktem Lächeln und im Anzug, die Haare nicht zu lang, aber gepflegt.

Keine Rednecks mit Allüren von hinterm Wald, sondern junge Menschen mit einer Liebe für alte Musik und trockenem Humor. Am Sonntag war er wohl besonders trocken, weil, wie Gillian Welch erzählte, sie sich am Vortag in Amsterdam eine Lebensmittelvergiftung eingefangen hatte. Das nächste Stück, so sagte sie alsdann, sei ein etwas optimistischeres. Rawlings lakonisch: „Es heißt: I'm not afraid to die.“

Irgendwie herzerfrischend, finden Sie nicht auch?

Andreas Schnell