Insektizid bedroht Weiberwirtschaft

■ Dienstleistungskomplex für Frauen muß erneut saniert werden, weil Naphtalin gefunden wurde. Der Genossinnenschaft droht nun der Ruin

Die Frauengenossenschaft Weiberwirtschaft in der Anklamer Straße 38 in Mitte steht möglicherweise vor einer finanziellen Katastrophe: In einem Teil des Backsteingebäudekomplexes ist das hochgiftige Insektizid Naphtalin entdeckt worden. Das Mittel, das stark riecht und Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen und Allergien auslösen kann, befindet sich in den Zwischendecken von 15 der rund 60 Betriebe, unter anderem in der angegliederten Kindertagesstätte.

„Das Landesamt für Arbeitsschutz hat uns zwar attestiert, daß die Naphtalin-Konzentration derzeit nicht gesundheitschädigend ist“, sagt Vorstandsmitglied Katja von der Bey. Jedoch gebe es keine Grenzwerte für Naphtalin und keine toxikologisch eindeutigen Einschätzungen, ab welcher Belastung das Insektizid tatsächlich gesundheitsschädlich sei. „Als erstes ökologisch saniertes Gewerbezentrum können wir uns aber keine Altlasten leisten“, so Bey. Einige Mitarbeiterinnen hätten bereits über Kopfschmerzen geklagt.

Wieviel eine erneute Sanierung kostet, ist jedoch noch völlig unklar. Erst in den nächsten Tagen wird es vom Technischen Überwachungs-Verein (TÜV) dazu ein detailliertes Gutachten geben. Die Kosten kann die Genossenschaft jedoch keinesfalls tragen, da ist sich Bey sicher. „Wir sind aktuell bedroht“, diagnostiziert sie. Der Kauf der ehemaligen Produktionsstätte der „Berlin Kosmetik“ inklusive Sanierung und Teilneubau hat 36 Millionen Mark gekostet. Davon hat die öffentliche Hand fast 23 Millionen Mark zugeschossen.

Erst 1996 war der Komplex, an dem rund 160 Arbeitsplätze hängen, fertiggestellt worden. Dort gibt es unter anderem ein Architektinnenbüro, ein Restaurant, Therapieräume und Kunsthandwerk. Ein Bioladen und eine Druckerei haben die Weiberwirtschaft bereits wieder verlassen. Die Gewerbemieten liegen bei 10 bis 25 Mark netto kalt. Alle Betriebe werden von Frauen geleitet, die Genossinnenschaft hat bisher 1.200 Teilhaberinnen.

Von den 6.000 Quadratmetern Gewerbefläche sind zirka 2.000 noch nicht vergeben. Diese könnten jetzt nicht vermietet werden, weil einige der belasteten Betriebe dorthin umziehen müßten. „Wir können die Weiberwirtschaft jedoch auf Dauer nur kostendeckend bewirtschaften, wenn wir insgesamt zu 85 Prozent ausgelastet sind“, sagte Bley.

Derzeit werde geprüft, ob die Weiberwirtschaft Regreßforderungen an die für die Sanierung verantwortliche Architektin Inken Baller stellen könne. „Es sind zwar eine Menge Messungen gemacht worden, aber leider an der falschen Stelle“, sagt Bley. Das Insektizid befinde sich in der Teerpappe, die zwischen 1920 und 1960 als Isolierschicht rund 30 Zentimeter tief in die Decken eingelassen wurde. Erst nach der Sanierung machte sich das Insektizid durch starken Geruch bemerkbar. „Viele der Wände waren früher gekachelt, deswegen hat man wohl nichts bemerkt“, sagte Bley.

Wenig Hoffnungen auf einen erneuten Sanierungszuschuß kann sich die Weiberwirtschaft von der Senatswirtschaftsverwaltung machen: „Wir haben bereits in erheblichen Maße Finanzmittel in das Zentrum gesteckt“, sagt deren Sprecher Michael Wehran. Die Genossenschaft müsse nun eigene Wege finden, das Gebäude erneut zu sanieren. Julia Naumann