Prediger bietet 40 Dollar

Nach dem Super-Bowl-Erfolg der Denver Broncos gegen Atlanta spekuliert ganz Amerika, ob die Familie Elway ihrem Oberhaupt das Karriereende genehmigt  ■ Von Thomas Winkler

Er wird sich ein paar Wochen Zeit nehmen. Oder besser gesagt: Seine Familie wird sich ein paar Wochen Zeit nehmen. Dann wird die Generalversammlung einberufen im Hause Elway und abgestimmt, ob das Familienoberhaupt noch eine Saison dranhängen darf. Oder soll. Das war schon im letzten Jahr so, nachdem John Elway, der erfolgreichste Autohändler und Quarterback in der Geschichte Colorados, mit seinen Denver Broncos erstmals die Super Bowl gewonnen hatte. Damals war die Entscheidung eindeutig: 5:1 fürs Weitermachen. Einzige Gegenstimme: John Elway selbst.

Nach dem überzeugenden 34:19-Sieg der Broncos gegen die überforderten Atlanta Falcons in der 33. Super Bowl gibt es noch weniger Gründe als im Vorjahr, warum die Familienentscheidung anders ausfallen sollte. Denn während man dem inzwischen 38jährigen Elway im vergangenen Jahr gegen die Green Bay Packers des öfteren sein Alter ansah, spielte er am Sonntag in Miami wie zu seinen besten Zeiten. Mit den 18 von 29 Paßversuchen, die er an den Mann brachte, überbrückte er 336 Yards, der dritthöchste Raumgewinn eines Quarterback in der Super- Bowl-Geschichte. Dabei ging ihm mit Shannon Sharpe schon früh seine liebste Anspielstation verloren, weil der besten Tight End der NFL noch im ersten Viertel mit einer Beinverletzung ausschied. Einer von Elways Pässen führte direkt zum Touchdown, einen zweiten erlief er selbst. Und der einzige Paß, der beim Gegner landete, war ein Fehler des bereits angeschlagenen Sharpe, der den Ball durch die Finger rutschen ließ. Konsequenterweise wurde Elway anschließend zum wertvollsten Spieler, zum MVP des Spiels gewählt.

Dabei war ausgerechnet der Veteran und zukünftige Hall of Famer von den Atlanta Falcons zuvor als „schwächstes Glied“ beim Titelverteidiger ausgemacht worden. Die erklärte Taktik der Falcons war, das Laufspiel der Broncos mit Running Back Terrell Davis, dem MVP der abgelaufenen Saison, zu stoppen, und Elway damit zu zwingen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Der erste Teil der Taktik klappte einigermaßen, Davis kam auf nur 102 Yards, eine für ihn eher unterdurchschnittliche Leistung. Der Rest des Plans ging allerdings gründlich schief. „Alle redeten die ganze Woche nur vom Laufspiel“, sagte Elway nach dem Erfolg, „ich wußte, ich würde die Gelegenheit haben, den Ball zu werfen.“ Er nutzte sie und wurde zum ältesten Quarterback, der zwei Super Bowls am Stück gewinnen konnte. Weswegen Elway anschließend nicht ganz ohne Häme frohlocken konnte: „Ich werde diesen Sieg eine ganze Weile genießen.“

Die Rücktrittsgedanken, die ihn schon seit Jahren beschäftigen, werden allerdings vorerst ausgesetzt. „Darüber werde ich jetzt nicht sprechen“, sagte er, „über die Brücke gehe ich erst später.“ Seine grandiose Vorstellung hat ihn immerhin schon zum Nachdenken gebracht: „Sicherlich, das macht es komplizierter.“ Vorher war er sich noch sicher gewesen, daß „aufzuhören, wenn du ganz oben stehst, das Beste wäre“. Nun aber gibt es ein Problem: „Dieses Gefühl, aufzugeben, ist wirklich hart“. Außerdem lockt ein weiterer Rekord für Elways Sammlung: Noch nie hat ein Team oder ein Quarterback die Super Bowl dreimal hintereinander gewonnen.

Die Falcons hatten nach der demoralisierenden Niederlage ganz andere Probleme. Zwar kamen sie der Endzone der Broncos des öfteren sehr nahe, aber im entscheidenden Moment versagten ihre Nerven. Quarterback Chris Chandler, sonst einer der sichersten seiner Branche, warf gleich drei Pässe zum Gegner, und der dänische Kicker Morten Anderson, im Halbfinale noch der Held von Minnessota, vergab kurz vor der Halbzeit einen Field-Goal- Versuch aus durchschnittlicher Entfernung. Im anschließenden Spielzug warf Elway einen Touchdown-Paß über 80 Yards auf Rod Smith. Statt 6:10 aus Sicht Atlantas stand es 3:17, und das Spiel war eigentlich entschieden.

Als Sündenbock hatte sich schon zuvor Eugene Robinson qualifiziert. Der als tief religiös geltende Verteidigungsspieler, der seine Überzeugungen gerne im Predigerton zum besten gibt, wurde weniger als 24 Stunden vor dem Spiel verhaftet, weil er einer verdeckt ermittelnden Polizistin auf offener Straße 40 Dollar für Oralverkehr angeboten hatte. Der verheiratete Robinson war die ganze Nacht mit der Beruhigung seiner Familie und seines Gewissens beschäftigt und kam nicht zum Schlafen. Falcons-Coach Dan Reeves beließ ihn trotzdem in der Anfangsformation. Robinson war es schließlich, der Rod Smith entwischen ließ bei jenem 80-Yard- Touchdown, der das Spiel endgültig kippte.