■ Die Odyssee des PKK-Führers Öcalan und das kurdische Problem
: Europas Verantwortung

Die Festung Europa steht. Auch der zweite Versuch des PKK-Chefs Abdullah Öcalan, in Westeuropa Fuß zu fassen, ist offenbar gescheitert. Italien und Holland haben sich kategorisch geweigert, Öcalan ins Land zu lassen, und auch die Regierung in Athen hat angekündigt, Öcalan nicht aufnehmen zu wollen. So merkwürdig die Odyssee Öcalans langsam anmutet, die Frage ist, ob die EU sich mit der jetzt praktizierten Aussperrtaktik auf lange Sicht einen Gefallen tut. Auch wenn man Öcalan draußen läßt – das kurdische Problem ist damit nicht verschwunden.

Ganz abgesehen davon, daß innerhalb der Grenzen der EU längst mehr als eine Million Kurden leben, hat Europa eine historische und aktuelle Verantwortung gegenüber den Kurden. Angefangen von der ersten Aufteilung der ottomanischen Besitzungen im Orient durch England und Frankreich über den ersten Friedensvertrag mit den letzten osmanischen Reichsverwesern bis hin zu dem endgültigen Vertrag von Lausanne mit der neugegründeten Türkischen Republik – Europa ist maßgeblich an der Entstehung der heutigen Landkarte des Nahen Ostens beteiligt. Deshalb ist es mitverantwortlich, daß die Kurden es nicht zu einem eigenen Staat gebracht haben.

Dieser Hinweis ist nicht als Aufruf gemeint, daß sich Europa mit Öcalan solidarisieren sollte. Es gibt gute Gründe, Öcalan nicht als den großen Führer der Kurden zu akzeptieren. Deshalb kann die EU aber jetzt nicht die Hände in Unschuld waschen und so tun, als ginge sie das alles nichts an. Es ist schlicht nicht möglich, es sich durch vermeintliche Neutralität weder mit der einen noch mit der anderen Seite zu verderben. So verprellen die Europäer die Türkei, weil sie „einen Terroristen“ schützen, und enttäuschen die Kurden, weil sich keine europäische Regierung für ihr Anliegen einsetzt.

Wenn man Öcalan nicht an die Türkei ausliefern will, soll man eine Möglichkeit finden, wohin er sich zurückziehen kann. Vor allem aber sollte Europa seine Möglichkeiten nutzen, die Kontrahenten an einen Tisch zu bringen. Es gibt andere kurdische Sprecher als Abdullah Öcalan, und es gibt, unterhalb der Ebene der türkischen Regierung, Meinungsmacher, Industrielle und Politiker, die für einen Dialog zu gewinnen wären. Die türkische Armee hat den Krieg auf den Bergen vorläufig entschieden. Europa könnte mithelfen, jetzt Frieden zu schließen. Jürgen Gottschlich