Und Elvis lebt doch

■ Beim virtuellen Elvis-Konzert war der King in der Rolle des Dorian Gray zu bewundern

Alle sind da: Ein paar gut geölte Teddytollen, die obligaten Entenschnabelfrisuren und sogar ein klassischer Petticoat wie vom Highschool-Abschlußball 1955. Daneben mischt sich ein Grüppchen langbärtiger Born-to-be- wild-Nachfahren ins erwartungsfrohe, nicht mehr ganz jugendfrische Publikum im Velodrom. In der Sportarena riecht es nach Popcorn und Taccos wie im Kino, aber es geht ins Konzert. Oder doch bloß zum gemeinsamen Videoabend über die gute, alte Zeit? Ja, wir sind älter geworden. Aber Elvis lebt noch, singt und schwitzt, und das ist doch die Hauptsache.

Elvis ersteht in Weiß und überlebensgroß auf einer Leinwand inmitten der Liveband. Fünf oder sechs verschiedene Anzüge mit enormen Kragengerüsten und Gürtelgeräten sehen wir ihn an diesem Abend tragen, ein Filmzusammenschnitt aus Konzerten vom Ende der 60er Jahre. Elvis war da noch schlank – aber auch schon ein bißchen aufgedunsen. Er war noch schön – aber auch schon ganz schön schmierig. Noch kraftvoll – aber auch schon müde und ausgepowert. Wenn wir in seine seltsam leeren Augen blicken, wissen wir ja, daß er die nächsten Jahre immer mehr seine Gummibärchen-Peanutsbutter-Bananen- Speise, Drogen und Abführmittel in sich hineinstopfen wird, versuchen aber, darüber hinwegzusehen: Elvis lebt, basta.

Elvis Presley ist Dorian Gray. Ikonen altern nicht. Doch die Band um ihn herum konnte den Lauf der Zeit nicht aufhalten. Elvis stellt die Musiker vor: Die rebellenhaften Langhaarigen auf der Leinwand verbeugen sich vorn auf der Bühne als gesetzte alte Herren. Das ist schon ein bißchen gruselig, aber solch leibhaftiges Andocken an die Vergangenheit gehört dazu und soll den Videoabend zum auratischen Ereignis veredeln. Elvis merkt nichts von den technischen Operationen um ihn herum. Er ist ja tot und gehört jetzt uns. Er singt sein Duett mit dem Chor wie eh und je. Technisch kein Problem. Die Leinwandwirklichkeit triumphiert über die Realzeit, Elvis' reale Abwesenheit auf der Bühne fällt irgendwann nicht mehr ins Gewicht.

Nur mit dem Applaus ist's schwierig. Wer klatscht, kann sich manchmal bei einem Zögern ertappen: Ist es nicht albern, einer Leinwand zu applaudieren? Oder ist allein die Band gemeint? Andere stürmen nach vorne, als wollten sie ihren Star hautnah erleben, während der sich herunterbeugt, um die Mädchen der 60er Jahre zu küssen. Bei „Bridge over troubled water“ werden dann die ersten Tränchen getrocknet. Zögerlich gehen Feuerzeuge an. Verzückungsbereitsschaft ist vorhanden, aber eine gewisse Reserviertheit auch. Erst beim hymnenhaften Glorygloryhalleluja erheben sich alle von ihren Plätzen wie zum Gebet: Elvis lebt, Elvis the King. Elvis lächelt schüchtern, sagt „thank you“ und daß wir ein großartiges Publikum seien – und wird weggezappt. Zugabe ausgeschlossen. Elvis has just left the building. Jörg Magenau