Die Politik sitzt Samaranch im Genick

Bei der Weltkonferenz gegen Doping im Sport scheitert der Plan des IOC, die eigene moralische Krise herauszuhalten – die Sportminister greifen auf breiter Front an  ■ Aus Lausanne Matti Lieske

Es war ein eisiger Wind, der Juan Antonio Samaranch gestern in Lausanne entgegenwehte. Und er kam nicht vom Genfer See, an dessen schönen Ufern der Präsident des IOC sein olympisches Imperium errichtet hat, sondern vom Rednerpult im Beaulieu-Palast, dem Schauplatz der „Weltkonferenz gegen Doping im Sport“.

Aufgescheucht durch die Dopingturbulenzen bei der Tour de France, hatte das IOC dieses Treffen von Repräsentanten aller Bereiche des Weltsports einberufen, um sich einmal mehr als Hüter von Ethik, Moral und eigener Herrlichkeit zu präsentieren. Statt dessen findet es sich auf der Anklagebank wieder. „Rigorose Forderungen“ an die obersten Olympier formulierte der deutsche Innenminister Otto Schily, und zwar keineswegs nur, was die Bekämpfung des Dopings betrifft. „Das IOC kann seine Funktionen nicht erfüllen, wenn es sich nicht grundlegend reorganisiert und seine Finanzen transparent macht“, sagte der für den Sport zuständige Politiker, auch im Namen seiner europäischen Amtskollegen.

Durch die Korruptionsaffäre um die Vergabe von Olympischen Spielen sind die Meister der fünf Ringe massiv in Mißkredit geraten, und ihr Plan, die peinliche Affäre aus der Dopingkonferenz herauszuhalten, schlug kläglich fehl.

Ebenso wie das IOC jahrelang jegliche Aktionen wider die Bestechlichkeit seiner Mitglieder verweigerte, ließ es auch im Bereich Doping vieles schleifen. Der „Medical Code“ wurde zwar verabschiedet, aber nicht überall durchgesetzt, Dopingfälle wurden verschleppt oder verheimlicht, und als Krönung disqualifizierte sich Samaranch letzten Sommer selbst, indem er eine weitgehende Zulassung leistungsfördernder Mittel vorschlug. Inzwischen präsentiert sich der 78jährige zwar wieder als eifriger Kämpfer für das Gute, doch schon die im Vorfeld der Konferenz eingereichten und propagierten Vorschläge, vor allem jene von Politikern aus den USA und Europa, zeigten, daß es für das IOC als ethische Instanz ums nackte Überleben geht.

„Wir haben absolut die Autorität, mit dieser Konferenz voranzuschreiten“, behauptet IOC-Exekutivmitglied Kevan Gosper, doch die Realität sieht anders aus. Zwar wurde das IOC stets brav genannt, um den Feldzug zu veranlassen und weitgehend zu finanzieren, doch unisono wurde auch die Gründung einer unabhängigen und transparenten Anti-Doping- Agentur gefordert, welche die beschlossenen Maßnahmen durchführt. Über die Frage, was „unabhängig“ heißt, bestehen freilich unterschiedliche Auffassungen. Ein Vorschlag von Samaranch sah ein 18köpfiges Gremium vor, dem neun Mitglieder der Sportorganisationen, neun Personen von außerhalb angehören, und das von Alexandre deMerode geleitet wird, der seit 30 Jahren im IOC für Dopingbelange zuständig ist. Die Präsidentschaft sollte allen Ernstes Samaranch übernehmen. „Da gibt es wahrscheinlich bessere Ideen“, höhnte Barry McCaffrey, der Drogenbeauftragte der US-Regierung. Der dreiste Plan sorgte für Verstimmung bei vielen Konferenzteilnehmern, die Englands Sportminister Tony Banks gestern am deutlichsten zum Ausdruck brachte: „Wir glauben nicht, daß das IOC diese Agentur sein sollte.“ Der Sport sei nämlich „mehr als das IOC“, sagte er dem betreten lauschenden Samaranch. Banks regte an, daß UNO oder WHO an der Agentur beteiligt werden. Vom IOC erwarte die britische Regierung, „daß es sich säubert“.

Auch McCaffrey und Schily rieten dem IOC, erst mal seine „Legitimationsbasis“ zurückzugewinnen. Mit Legitimation, das machte der „Drogenzar“ des Weißen Hauses deutlich, sind vor allem offene Abstimmungen und die demokratische Wahl der Mitglieder gemeint.

Relativ moderat äußerte sich Marie-George Buffet, die kommunistische Sportministerin aus Paris, die im letzten Sommer wie ein biblischer Racheengel über die Tour de France gekommen war. Sie forderte eine härtere Verfolgung des Handels mit Dopingmitteln nach französischem Vorbild und nutzte die Zeit zu einem Exkurs in die Ethik. „Doping ist die Negation des Sports“, sagte sie und fuhr, ganz Kommunistin, fort, man müsse an den Wurzeln ansetzen: den finanziellen Interessen, „die sich nicht um die Würde des menschlichen Lebens scheren“.

Den Rücktritt von Samaranch hat gestern seltsamerweise niemand direkt gefordert. Offenbar hat man sich an den Gedanken gewöhnt, zunächst weiter mit dem Spanier zusammenarbeiten zu müssen. Wenn auch nicht als Präsident der Anti-Doping-Agentur.