Ein Dach für eine begrenzte Zeit

■ Die Arbeitsämter versuchen sich als Dienstleister für Jugendliche. Doch die staatlich finanzierten Kurs- und Jobangebote sind gar nicht so leicht an Frau und Mann zu bringen. Und die Wirtschaft hält sich fein raus.

Das Arbeitsamt gibt sich Mühe. Auch bei jenen, die sonst in den verqualmten Warteecken des ersten Stockwerks lange auf einen Beratungstermin warten. Heute sind sie in die Beletage des Arbeitsamtes Berlin-Nord im problematischen Stadtbezirk Wedding geladen. Mit Blick über die Dächer flaniert die Kundschaft durch den Saal im fünften Obergeschoß – vorbei an den Infotischen, auf denen mehr als ein Dutzend Ausbildungsfirmen Werbematerial ausgelegt hat. „Wie kann ich Ihnen helfen...“; „Schauen Sie doch mal hier...“, preisen die Firmenvertreter ihre Kurse an.

Ein neues Gefühl für Turgut Canbaz· den 21jährigen Weddinger, der mittlerweile bereut, sich während seiner Dreherlehre im Daimler-Motorenwerk nicht angestrengt zu haben. Er bekam eine Vier auf dem Zeugnis – und keinen Job. Weil Canbaz sich für ein ordinäres Bewerbungstraining trotzdem zu schade war, sperrte das Amt die Arbeitslosenhilfe. Jetzt ist die Atmosphäre anders: Im kürzlich gestarteten Programm „100.000 Jobs für Junge“ der rot- grünen Bundesregierung wird Canbaz gehegt und gepflegt.

Am Tisch des Kursanbieters sucht sich der Arbeitslose einen einjährigen Computer-Grundlagenkurs aus. Fünf Minuten später sitzt Canbaz im Zimmer seiner Arbeitsberaterin, die während der zweitätigen Bildungsbörse die Aspiranten des 100.000er-Programms betreut. Nach einer kurzen Nachfrage, ob ein Computerkurs für ihn als Dreher denn das richtige sei, schickt sie Canbaz mit einem Genehmigungsformular wieder nach oben. Dort heißt es: „Nächste Woche geht es los.“

Freundlich und flexibel ist das Arbeitsamt geworden, so wie Berlins Arbeitsamtspräsident Claus Clausnitzer es seit Jahren fordert: „Wir sind ein Dienstleister, die Arbeitslosen unsere Kunden.“ Bundesweit läuft die Vermittlungsmaschinerie auf Hochtouren, seit SPD-Arbeitsminister Walter Riester am 9. Dezember vergangenen Jahres den Startschuß abfeuerte. Kurz vor Weihnachten erhielten Zehntausende eine Einladung vom Arbeitsamt. Weit mehr als die 427.000 als arbeitslos Gemeldeten unter 25 Jahren wurden kontaktiert.

Doch was nützt dem gescheiterten Dreher Canbaz die Windows- Textverarbeitung? Vertraut ihm ein Betrieb deshalb die Computerdrehbank an? „So etwas kann die Aussichten verbessern, einen Job zu bekommen“, sagt Gisela Steltzer, Sprecherin der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit.

Bessere Aussichten – für viele Jugendliche eine neue Variante des alten Spiels: Nach einer Qualifizierung und der anschließenden erfolglosen Bewerbung rufen wieder die langen Flure des Amtes. So entpuppt sich Riesters Programm teilweise als Etikettenschwindel: Eine Warteschleife ist kein Arbeitsplatz, eine Umschulung wird nur mit Glück zu einem Mosaikstein, der sich mit anderen zu einem Berufsweg fügt.

Hoffnungsvoller – Ironie des Schicksals – blicken solche Jugendliche in die Zukunft, die bisher gar keine Ausbildung ergattern konnten. „Jeder, der einen Ausbildungsplatz haben will, bekommt garantiert einen“, schwärmt Brigitte Zabel, Leiterin der Berufsberatung im Amt Berlin-Süd. Alle 32.000 SchulabgängerInnen des Jahres 1998, die offiziell bundesweit noch einen Ausbildungsplatz suchen, sollen staatlicherseits versorgt werden.

Im Bildungswerk Neukölln, einer staatlich finanzierten Ausbildungswerkstatt, feilen, sägen und bohren seit Anfang Januar 17 Jugendliche. Um Grundfähigkeiten zu erlernen, fertigen sie zur Zeit probeweise stilisierte Weinblätter und Rebstöcke aus Stahlblech, die größtenteils im Schrott landen. Das nervt! Aber am 1. März beginnt die dreijährige Ausbildung zum Elektroinstallateur.

Die erste Schwelle haben die Jugendlichen nach teilweise 100 erfolglosen Bewerbungen nun genommen. Für ihre Zukunft prognostizieren die Mitarbeiter des Bildungswerkes Neukölln, daß etwa die Hälfte der angehenden Installateure während der Ausbildung den Übergang zu einem privaten Betrieb finden wird. Demgegenüber dürften viele, die die komplette Lehre beim staatlichen Träger absolvieren, hinterher wieder beim Arbeitsamt landen. Nicht nur anhand der unklaren Aussichten der ProgrammteilnehmerInnen wird offenbar, daß „Jobs für Junge“ mit einem „Bündnis für Arbeit“ nichts zu tun hat. Die Unternehmerverbände gaben zwar ihren guten Namen für die Werbung, doch verpflichtet haben sie sich zu nichts. Die rund 3,15 Milliarden Mark fürs dreijährige Programm stammen ausschließlich aus öffentlichen Töpfen.

Die Bundesanstalt für Arbeit als Dienstleister rührt die Werbetrommel wie noch nie. Doch nicht alle potentiellen KundInnen findet offenbar Gefallen an den Produkten: Etwa 2.200 Jugendliche ohne Ausbildung lud das Arbeitsamt Berlin-Nord zur Bildungsbörse ein, nur ein Drittel von ihnen erschienen im Saal des fünften Stockwerks. Arbeitslos und unerreichbar für den Staat? Turgut Canbaz liefert eine Erklärung von vielen: „Mit Sozialhilfe und Kindergeld lebt sich auch ganz gut.“ Hannes Koch

Bundesweite Telefon-Hotline: (08000) 100001

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