Generation Jugendzentrum

Ohrwürmer der Entfremdung: Die Bindestrich-Coreler Fireside und Favez werden erwachsen  ■ Von Felix Bayer

In den späten achtziger und frühen neunziger Jahren gingen unzählige amerikanische Gitarrenbands auf Europatour. Um sicherzustellen, daß die Flug- und Transportkosten wieder eingespielt würden, gaben sie möglichst viele Konzerte und bereisten zahlreiche Jugendzentren fernab der Metropolen. Dort spielten die Bands ihren Bindestrich-Core wie das damals genannt wurde. Musik also, die irgendwie ihre Wurzeln im Hardcore hatte, aber inzwischen ein breiteres Spektrum menschlicher Emotionen ansprechen wollte als Wutattacken. Auf diesen Tourneen verschlug es manche dieser Bands auch nach Nordschweden oder in die romanische Schweiz – und das hatte Folgen.

An diesen Orten fanden sich (zumeist) Jungs zusammen, um den amerikanischen Vorbildern nachzueifern. So entstand im nordschwedischen Lulea eine Band namens Fireside und in Lausanne The Favez Disciples, die ihren Namen bald in Favez abkürzten. Fireside hatten sich schon auf ihren ersten Veröffentlichungen 1993 auf Emo-Core spezialisiert, jene Variante des Post-Hardcore, die zwar musikalisch die Härte und Geschwindigkeit der Originale bewahrte, aber in den Texten von persönlichen Zweifeln und gar von Liebe handelte. Da Fireside das zudem mit einiger melodischer Verve taten, wurden sie in Schweden zu einer Art Underground-Popstars, und selbst im bewunderten Amerika zeigte sich Interesse: Rick Rubins Label American Recordings veröffentlichte dort ein Album der Band.

Auf solchen Ruhm warteten am Genfer See Favez vergebens, aber auch sie erlangten mit vergleichsweise rockigen, ausladenden Songs zumindest regionale Beliebtheit. Hier kommt nun ein Plattenlabel aus Deutschland ins Spiel, das ursprünglich aus purer Begeisterung für die norwegische Band Motor-psycho gegründet wurde: Stickman Records. Die Indie-Firma, die vor nicht allzu langer Zeit von Nürnberg nach Hamburg umgezogen ist, brachte als eine der ersten Platten, die nicht Motorpsycho aufgenommen haben, Uomini d'Onore von Fireside heraus, auf der die vier Schweden ihren Emo-Core präzise ausformuliert haben. Ohrwürmer sind das, die aus persönlicher Entfremdung beinahe Popsongs werden lassen. Insofern überrascht es nicht, daß Fireside auf der Bonus-CD zu ihrer jüngst erschienenen B-Seiten-Sammlung Hello Kids neben Songs von Genre-Göttern wie Hüsker Dü oder Dinosaur Jr. auch „The Sun & The Rainfall“ von Depeche Mode covern.

Das Stickman-Unterlabel Sticksister, das deutschen Indierock-Hoffnungen wie Slut oder Mustang Ford Heimstatt ist, hat nun auch Favez unter Vertrag genommen, die mit dem ruhigen Album A Sad Ride On The Line Again überraschen. Aufgenommen in einer Kirche, singen die Schweizer davon, wie der nächste Tag immer noch schlimmer sein kann. Die Generation der Jugendzentren ist erwachsen geworden, ein Eindruck, den auch das introspektive Soloalbum Go, Went, Gone von Fireside-Sänger Kristofer Aström ausstrahlt. Weil aber das Molotow von allen Hamburger Clubs am stärksten die Atmosphäre eines Jugendzentrums in der Provinz ausstrahlt, verlassen sich die beiden Bands bei ihrem gemeinsamen Auftritt auf ihre Wurzeln. Sie rocken. Und zwar laut.

Do, 4. Februar, 21 Uhr, Molotow