„Du Knackifotze, du Hure“

Der Fall der Monika B. illustriert, wie es einer Vollzugsbeamtin ergehen kann, die sich in einen Gefangenen verliebt  ■ Von Plutonia Plarre

Sechs Jahre lang hat die Justizvollzugssekretärin Monika B.in Deutschlands größtem Männerknast gearbeitet. Die 39jährige Frau führte in Tegel Aufsicht über 45 Gefangene. Bei den Mördern, Sexualstraftätern und Betrügern genoß die zierliche Frau Respekt. Nicht nur wegen ihrer Resolutheit. Monika B. war keine von den Wärtern, die geringschätzig „Schließer“ genannt werden. Sie nahm ihre Arbeit ernst und engagierte sich für die Insassen – bis sie vor die Gefängnistore gesetzt wurde. Der Grund: ihr Liebesverhältnis mit einem Gefangenen auf ihrer Station.

So etwas kommt in den besten Knästen vor, nicht erst seit 1990, als weibliches Aufsichtspersonal Einzug in die Berliner Männergefängnisse hielt. Daß weibliche Reize in einer hermetisch abgeriegelten Männerwelt eine besondere Wirkung entfalten, liegt auf der Hand. Eingehen dürfen die Justizbediensteten – Männer wie Frauen – sexuelle oder andere persönliche Beziehungen zu Gefangenen jedoch nicht. Die Dienstverordnung gebietet eine „notwendige Zurückhaltung“. Zuwiderhandlungen können nach dem Strafgesetzbuch als sexueller Mißbrauch mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet werden. Nach Angaben der Justizverwaltung kommt so etwas „nur äußerst selten vor“. So selten, daß darüber keine Statistik geführt wird.

Insider berichten jedoch das Gegenteil. Im Laufe ihrer Dienstzeit komme fast jede Beamtin an den Punkt, daß sie sich einem der Gefangenen besonders zugetan fühle. Unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit passiere weit mehr, als offiziell zugegeben wird. Beispielsweise wurde anstaltsintern der Geschlechtsverkehr zwischen einer Auszubildenden und einem Insassen in einem Gefängnisfahrstuhl bekannt, juristische Folgen gab es jedoch nicht. Auch das Verhältnis zwischen einer Justizbediensteten und einem Lebenslänglichen in Tegel lief für die Frau glimpflich ab. Zwar wurde sie entlassen, doch nicht angeklagt. Als sich die Aufseherin und der Insasse im September 1997 in dessen Zelle vergnügten und plötzlich die Tür ins Schloß gefallen war, hatten sie aus Angst vor Entdeckung eine Geiselnahme vorgetäuscht.

Auch MonikaB. kam an diesen Punkt. Im Sommer 1996, ihrem sechsten Dienstjahr, verliebte sie sich in Klaus S.· der auf ihrer Station wegen Betrugs einsaß. Bei einer Tasse Kaffee in der für jeden einsehbaren Beamtenzelle waren sie sich nähergekommen. Später lud sie den ehemaligen Kaufmann während seiner Freigänge zu sich nach Hause ein. Dort, wohlgemerkt nicht im Knast, kam es zu Intimitäten. – „Ich gehöre nicht zu den Kolleginnen, die sich aus Jux und Dollerei mit Gefangenen einlassen“, betont MonikaB. später bei ihrem Gerichtsprozeß. – Einen Tag bevor Klaus S. in den offenen Vollzug verlegt wurde, war die Liaison aufgeflogen. Ein Beamtenkollege hatte das Paar beim Einkaufen in der City gesehen.

Seitdem ist die Justizsekretärin vom Dienst suspendiert. Ob sie je wieder in ihrem Beruf arbeiten darf, wird sich nach Abschluß des Strafverfahrens zeigen. Daß es sich nicht um sexuellen Mißbrauch, sondern um ein einvernehmliches Verhältnis zwischen Erwachsenen handelte, interessiert die Staatsanwaltschaft wenig. Als sexueller Mißbrauch kann ebenso der Mißbrauch der Amtsstellung gewertet werden. In diesem Sinne entschied auch das Berliner Amtsgericht, das MonikaB. Mitte Januar dieses Jahres gegen Androhung von 3.000 Mark Geldstrafe verwarnte. Dem Staatsanwalt war dies nicht genug, er legte Berufung ein.

In anderen Fällen hat die Justiz wesentlich härter durchgegriffen. So wurde im vergangenen Jahr in Halle eine Justizbedienstete wegen sexueller Kontakte zu einem Insassen zu zwölf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. 1997 bekam eine Knast-Krankenschwester in Sachsen-Anhalt wegen sexuellen Mißbrauchs von Häftlingen und Veruntreuung eine zweijährige Freiheitsstrafe auf Bewährung aufgebrummt.

Der Fortgang des Strafverfahrens gegen Monika B. verhindert, daß sie einen Schlußstrich unter das Kapitel „Klaus S.“ ziehen kann. Die im Knast begonnene Liaison hielt der Realität in Freiheit nicht stand und ging nach seiner Entlassung im Mai 1997 in die Brüche. KlausS. ist inzwischen mit einer anderen Frau verheiratet.

„Es sind eigentlich immer die weiblichen Bediensteten, die in solchen Fällen die Rechnung bezahlen“, sagt der Tegeler Anstaltsleiter, Klaus Lange-Lehngut, der die Aufsicht über derzeit 1.600 inhaftierte Männer und 700 männliche und 250 weibliche Bedienstete führt. Solange die Gefangenen ihre Strafen absitzen, sei die Beziehung attraktiv. Aber nach der Entlassung würden die Frauen meistens „weggeschmissen wie ein Stück trockenes Brot“. In seiner knapp 20jährigen Amtszeit in Tegel hat der Anstaltsleiter nur zweimal erlebt, daß Affären hinter Gittern mit einer Heirat endeten.

In einem Fall handelte es sich um das ehemalige Mitglied der „Bewegung 2.Juni“, Till Meyer, der sich während seiner 11jährigen Haft in seine Sozialarbeiterin verliebte. Wenn die anderen Insassen unter Verschluß waren, holte die Frau den Gefangenen Meyer in ihr Büro. So ging es ein gutes Jahr. Aus Angst vor den Konsequenzen entschlossen sich die beiden 1984, den Justizsenator zu unterrichten. Der forderte, daß die Sozialarbeiterin ihre Stelle kündigte und das Paar heiratete. Nur so durfte die Sozialarbeiterin den Häftling weiter im Knast besuchen. Andernfalls hätte es eine Kontaktsperre gegeben. Doch auch diese Beziehung ging nach drei Jahren und Meyers Entlassung in die Binsen.

Es gibt nur eine Möglichkeit für Justizbedienstete, halbwegs unbeschadet aus der Liaison mit einem Häftling herauszukommen: dem Vorgesetzten, Anstaltspsychologen oder Personalrat sofort Mitteilung machen, „daß es gefunkt hat“, sagt Anstaltsleiter Lange-Lehngut. Die Konsequenz: Der Gefangene und die Bedienstete werden durch Verlegung beziehungsweise Versetzung getrennt. Der Anstaltsleiter fordert eine unnachgiebige Ahndung von heimlichen Liebschaften im Knast. „Dadurch wird das Ansehen der Justiz geschmälert und die Sicherheit der Anstalt gefährdet, weil die Beamtinnen erpreßbar werden.“

Genau das bestreitet der Verteidiger von MonikaB., der für seine Mandantin um Freispruch kämpft. Die Justizbedienstete sei zu keinem Zeitpunkt erpreßbar gewesen, betont Rechtsanwalt Michael Nitschke. Ganz im Gegenteil. Sie habe stets für einen reibungslosen Ablauf des Strafvollzuges gesorgt. Weil sich MonikaB. nach negativen Erfahrungen mit der Boulevardpresse und aus Angst vor beruflichen Nachteilen nicht mehr selbst äußern will, ergreift ihr Anwalt stellvertretend für sie das Wort. Er beschreibt seine Mandantin als engagierte Frau, die keinen der 45 Gefangenen in ihrer Obhut bevorteilt habe. Das war auch gar nicht möglich, denn sie hatte keinerlei Bewilligungsbefugnisse. Im Gegensatz zu vielen ihrer männlichen Kollegen, die sich im Dienst „den Hintern platt sitzen und die Bild-Zeitung zehn Mal vor und zurück lesen“, habe sich MonikaB. als Mittlerin zwischen drinnen und draußen verstanden. Sie besprach mit den Gefangenen deren Berufsperspektiven und mischte sich ein, wenn Insassen ihre Frauen am Telefon „zusammenschissen“. Wenn sie feststellte, daß Gefangene stanken, forderte sie sie zum Duschen und Wäschewaschen auf. Insassen, die sich wie die Axt im Walde benahmen, versuchte sie zivilisierte Umgangsformen beizubringen.

„Sie war für die Knackis nicht die bequemste Beamtin und für ihre Kollegen sowieso nicht“, sagt ihr Anwalt. Aber die Gefangenen akzeptierten sie, „weil sie tat, was sie sagte“ – im Unterschied zum Gros ihrer männlichen Kollegen, „für die die Insassen Schwerverbrecher und Penner sind, um die man sich am besten so wenig wie möglich kümmert“. Auch ihren Kollegen hat MonikaB. die Meinung gesagt. MonikaB. verstand es, bei Konflikten deeskalierend zu wirken, während männliche Bedienstete in derlei Situation oftmals auf ihre Muskelkraft vertrauen. Doch der Preis, als Frau in einer Männerdomäne zu arbeiten, war hoch. Sie mußte sich ständig ihrer weiblichen Haut erwehren. Die Anzüglichkeiten kamen nicht etwa von den Gefangenen, sondern von ihren eigenen Kollegen. Das war bisweilen so schlimm, daß Gefangene sie fragten, ob sie sich das gefallen lassen müsse.

Auf Dauer hinterläßt die Tätigkeit sowohl bei Männern als auch bei Frauen im allgemeinen Vollzugsdienst Spuren, ist Anwalt Nitschke überzeugt. Der Job ist schlecht angesehen, durch den Schichtdienst droht Vereinsamung, die Tristesse schlägt aufs Gemüt, der rüde Umgangston färbt auf das Privatleben ab. Zwangsläufig verhärten viele Frauen. „Die Arbeit hat meine Mandantin ziemlich geeicht.“ Trotzdem bewerben sich nach Angaben des Verbands der Berliner Vollzugsbediensteten inzwischen mehr Frauen als Männer.

Wie sehr im Vollzug mit zweierlei Maß gemessen wird, bekam Monika B. deutlich zu spüren, als ihre Beziehung zu dem Gefangenen publik wurde. „Viele Beamte stellen den attraktiven Kolleginnen hinterher, aber fängt eine von denen ein Verhältnis zu einem Gefangenen an, werden die Herren plötzlich prüde“, beschreibt Anwalt Nitschke die Doppelmoral. Monika B. mußte sich Beschimpfungen wie „Du Knackifotze, du Hure“ anhören, ein Kollege bespuckte sie auf der Straße. Anonyme telefonische Beschimpfungen hörten erst nach mehrmaliger Änderung ihrer Nummer auf.

Namen von der Redaktion geändert