Neue deutsche Pop-Dissidenz

Das Filmmuseum Potsdam organisierte eine Podiumsdiskussion zum Thema Pop und Leni Riefenstahl, „Pop will eat itself“. Als die Veranstaltung dann aus dem Ruder lief, waren die verantwortlichen Museumsdamen freilich schon längst verschwunden  ■ Von Cornelia Siebeck

Die jungen Leute, die am letzten Freitag mit Schnittchen und einem Glas Wein im hell erleuchteten Foyer des Potsdamer Filmmuseums herumstanden, sahen völlig harmlos aus. Statt Kino oder Kneipe heute mal was anderes, eine Podiumsdiskussion mit dem hippen Titel „Pop will eat itself“.

Es soll um die Problematik Pop und Leni Riefenstahl gehen, um Nazi-Ästhetik in der Popkultur. Anlaß dazu bietet das Rammstein- Video „Stripped“, das aus Riefenstahls Olympiafilm montiert ist. Eingeladen haben das Filmmuseum und der Museumspädagogische Dienst im Rahmen der Riefenstahl-Ausstellung.

Daß es hier nicht unbedingt einen linken Pop-Diskurs unter Insidern à la spex zu hören gibt, damit kann man rechnen. Ebensowenig darf man erwarten, daß hier jeder wie selbstverständlich mit Begriffen wie Subversion und Dekontextualisierung von Zeichen herumschmeißt. Aber daß das Ganze in einer rechtslastigen Diskussion über das deutsch-jüdische Verhältnis und der Relativierung des Holocaust endet, war eigentlich nicht abzusehen. Doch so wurde man bei dieser Gelegenheit darüber informiert, was von aktuellen deutschen Debatten – sei es nun Walser oder „pc“ – in deutschen Köpfen übrigbleibt.

Dabei fängt der Abend vielversprechend an. Ulf Poschardt, Au- tor des Buches „DJ-Culture“ und Chefredakteur des SZ-Magazins, referiert zunächst Strategien der Dissidenz im Pop. Die Deutschtümelei von Kraftwerk in den Siebzigern sei subversiv gewesen, die Maschinenfreaks hätten ihre eigene Ideologie auch selbst wieder dekonstruiert. Rammstein dagegen bedienten sich der Nazi-Ästhetik völlig unreflektiert, zumal vor dem Hintergrund brennender Asylbewerberheime. Trotzdem sieht Poschardt das Rammstein- Video nicht nur negativ: „Riefenstahl ist angekommen, wo sie nie hinwollte: in einer demokratischen Massenkultur, in der alles möglich ist, auch der Ewigkeitskitsch der Nazis.“

Ursprünglich sollte Poschardt jetzt mit einer Vertreterin des Rammstein-Labels, dem Manager der Ärzte und Radio-Eins-Chef Helmut Lehnert diskutieren. Lehnert ist hier, die andern haben aber abgesagt, der vorgesehene Moderator Rex Joswig von „Herbst in Peking“ ist ebenfalls abgesprungen. Statt dessen moderiert nun Kai Uwe Kohlschmidt, Sänger der Industrial-Band „Sandow“, eine Runde, die die Veranstalter kurzerhand mit den beiden Filmemachern Sibylle Schimpf und Peter Kuhn aufgestockt haben.

Letztere haben sich dem Museum anläßlich der Ausstellung selbst empfohlen und dürfen nun ihr Projekt vorstellen: die Verfilmung der Behindertenolympiade 2000 in Riefenstahl-Ästhetik. Wenig begeistert fragt Poschardt nach ihrer Intention. In halbgaren Phrasen schwärmen die beiden daraufhin von Riefenstahls Pioniertaten im Sportfilm, so daß klar wird: Hier soll nicht etwa Riefenstahl demontiert werden, sondern auch Behinderte sollen endlich bei so was einmal mitmachen dürfen.

Kohlschmidt bemerkt, da werde „ein Spannungsfeld aufgemacht“, und legt dann seine Meinung zu Rammstein dar: Die Band habe sich eine Marktlücke gesucht, das sei schon okay, Pop funktioniere eben nach westlicher Marktideologie. Leni Riefenstahl sei wie Werbung, und Ästhetik sei nicht Politik.

Auf den Einwand aus dem Publikum, man müsse sich auch einmal überlegen, was man ästhetisiere, erwidert er grinsend: „Pop nimmt sich, was er brauchen kann.“ Deutlicher hätte man es nicht ausdrücken können: „Mo- ralkeule“ ist heute nicht angesagt. Und dann mutiert das Publikum auch plötzlich zu einer von PC- Zwang und Holocaust geknechteten deutschen Jugend, die nun die Gelegenheit nutzt, sich mal so richtig Luft zu machen.

Neben den Juden seien im Krieg auch 20 Millionen Russen gefallen, die damit aber „viel natürlicher umgehen“. Als Deutscher dürfe man israelische Palästinapolitik nicht kritisieren, obwohl da auch gemordet werde. Der Kommunismus habe mehr Opfer gefordert als der Faschismus. Und überhaupt: „Tot ist tot, ich rede auch nicht davon, was andere in ihren Kolonien gemacht haben.“ Dazu fällt dem Moderator prompt „mal ganz provokativ“ das passende Heiner- Müller-Zitat ein: Der einzige Fehler der Deutschen sei gewesen, den Völkermord mitten in Europa zu begehen, ansonsten hätte sich niemand beschwert.

Die Filmemacher sagen nichts mehr; Lehnert schweigt bereits den ganzen Abend demonstrativ in einer Art inneren Emigration. Nur Poschardt versucht zu widersprechen und kann es kaum glauben: „Warum macht denn hier keiner was gegen diesen rechten Fuck?“

Im Publikum betretenes Schweigen, vereinzelt Lachen. Einige haben wohl durchaus kapiert, daß es hier um rechtsextremes Gedankengut geht, das zu allem Überfluß auch noch vom Moderator mit mißverstandenem Diedrich Diederichsen aufgepeppt wird. Kohlschmidt bricht irgendwann ab, es steht noch Fritz Langs „Metropolis“ auf dem Programm. Poschardt stürzt sichtlich erregt aus dem Saal, auch Lehnert verläßt eilig das Museum. Ein Teil der Besucher folgt ihrem Beispiel, der Rest darf dann ohne weitere kritische Anmutungen im Berlin der goldenen Zwanziger schwelgen.

Andere haben sich schon viel früher aus dem Staub gemacht. Bereits nach zehn Minuten Diskussion etwa ging die Leiterin des Museums, Bärbel Dalichow. Zum Verlauf kann sie sich also nicht äußern: „Was will man machen? In einer Demokratie darf jeder sagen, was er denkt.“ Mit Dalichow verließ auch Ines Wahlk die Veranstaltung. Von ihr stammen Idee und Konzept der Diskussion. Im nachhinein bekennt sie organisatorische Defizite, Kohlschmidt sei als Moderator überfordert gewesen.

Nur Ugla Gräf, ebenfalls an der Organisation der Veranstaltung beteiligt, hielt am Freitag bis zum Ende durch – und hat auch eine Erklärung parat: „Da gab es ein kleines Verständigungsproblem zwischen Poschardt und Kohlschmidt.“ Poschardt sei schließlich Münchner und habe überdies Kohlschmidts Frisur kritisiert. „Da gab es ein kleines Duell, das hatte eine gewisse Eigendynamik. Was ich aber gar nicht gespürt habe, war dieses Rechtslastige.“ Das Gespür für Rechtslastiges scheint in Potsdam nicht nur Frau Gräf abzugehen.