Zensur schadet auch Kindern

■ In den USA scheiterte der Jugendschutz im Internet erneut am Urteil eines Richters

„Wahrscheinlich schaden wir den Kindern dieses Landes mehr, wenn wir die Freiheit der Rede, ein Erbe, das sie einmal voll und ganz antreten werden, heute im Namen ihres Schutzes beschneiden.“ Mit diesen Worten erließ Richter Lowell Reed aus Philadelphia eine einstweilige Verfügung gegen ein als COPA bekanntgewordenes Gesetz, das Kindern den Zugang zu bestimmten Internetseiten verwehren sollte. Die Abkürzung COPA steht für „Child Online Protection Act“ und ist der zweite Versuch des Gesetzgebers, das Internet kinder- und jugendsicher zu machen.

Der erste, als „Communication Decency Act“ weit über die USA hinaus berühmt geworden, war vor dem Obersten Bundesgericht im Jahre 1997 durchgefallen. Dieses Gesetz hatte rundheraus all jene mit hohen Strafen bedroht, die Kindern und Jugendlichen „offensichtlich pornographisches und anstößiges Material“ über das Internet zugänglich machten. Damals entschied das Oberste Gericht, dieses Gesetz sei zu vage und die Freiheit der Rede ein höheres Rechtsgut, das Vorrang vor den nicht bewiesenen Vorurteilen der Zensur haben müsse.

Das neue Gesetz versuchte einen anderen Weg zu gehen, und verfügte, daß Betreiber von Internetseiten mit sexuellem Inhalt einen Mechanismus einbauen müßten, der den Zugang zu diesen für Kinder verhindere. Montag nacht sollte eine Auflage in diesem Sinne in Kraft treten, die alle Anbieter möglicherweise nicht ganz jugendfreier Dinge, Ärzte eingeschlossen, im Internet dazu verpflichtet hätte, den Zugang zu ihren Seiten erst nach Eingabe einer Kreditkartennummer freizugeben.

Dagegen klagte die „American Civil Liberties Union“ (ACLU), eine traditionsreiche Gesellschaft, die auf jeden wirklichen und vermeintlichen Angriff auf die Freiheit der Rede reagiert. Nebenklägerin war Roberta Speyer, die Betreiberin der international anerkannten gynäkologischen Internetseite www.obgyn.com, die von Frauenärzten und Frauen in der ganzen Welt in Anspruch genommen wird. „Wir bekommen viele Zugänge aus El Salvador und Namibia. Ärzte in diesen Ländern haben oft keine Kreditkarte“, sagte die Betreiberin, die befürchtete, mit ihrem Online-Service, der sich über Werbung finanziert, außer Landes gehen zu müssen, wenn das Gesetz in Kraft getreten wäre. „Viele Menschen wollen ihre Kreditkartennummer nicht eingeben, weil sie ja nichts kaufen wollen.“

Ohnehin ist es die Internetgemeinde insgesamt leid, bei immer mehr Internetseiten Namen, Adresse, Alter und Beruf eingeben zu müssen. Anbieter wollen damit meist nur Kundenprofile erstellen, die sie dann an Vermarktungsinstitutionen verkaufen. Diese Abfragerei alleine wirft bereits die Frage nach dem Personen- und Datenschutz auf. Doch ihre Verbindung mit der Auflage, eine Kreditkartennummer einzugeben auch dann, wenn man nichts kaufen will, hätte die Freiheit der Rede in die Nähe käuflicher Güter gerückt – so, als käme in den Genuß eines Grundrechts nur, wer auch bei den Banken akzeptiert ist.

Derartig harte Eingriffe in Grundrechte seien gar nicht nötig, um den Zweck zu erreichen, den das Gesetz anstrebe, erklärte Richter Lowell. „Bei Verfolgung des Zieles, Kinder vor schädlichem Material zu schützen, kann Filtertechnologie mindestens ebenso erfolgreich sein wie COPA, ohne dabei in die Grundrechte aller einzugreifen“, schrieb er in die Urteilsbegründung.

Das Urteil von Philadelphia ist eine einstweilige Verfügung, die eigentliche Verhandlung steht noch aus. Dieses Verfahren wird wie sein Vorläufer CDA mit Sicherheit bis vor das Oberste Gericht weitergeführt. Peter Tautfest

tautfest@taz.de