Der Moderator macht die Politik

In den ersten 100 Tagen ist es Schröder in der Umweltpolitik gelungen, mit seiner sogenannten Moderatoren-Rolle Fakten auf Kosten der Grünen zu schaffen  ■ Von Matthias Urbach

Berlin (taz) – „Wenn man so ein hohes Tempo vorlegt,“ so zog Kanzler Schröder seine erste Bilanz, „schleichen sich handwerkliche Fehler ein.“ Warum also nörgeln? Schließlich sind die ersten 100 Tage ja die verdiente Schonfrist für eine neue Regierung.

Die Art der Politik in den ersten 100 Tagen läßt tief blicken. Viele der sogenannten Fehler nutzt Schröder geschickt, um damit Fakten zu schaffen. Nirgendwo ist das so deutlich, wie im Atomstreit. Hier hat Gerhard Schröder mehrfach den grünen Umweltminister Jürgen Trittin zurechtgestutzt: Zweimal stoppte der Kanzler Trittins Atomnovelle, erst Mitte Dezember, dann noch einmal direkt vor den Konsensgesprächen. Zumindest beim zweiten Mal ist es nicht mehr glaubwürdig, auf rechtliche Probleme zu verweisen – immerhin hatte Schröder der Novelle in Grundzügen Mitte Januar in der Koalitionsrunde zugestimmt.

Doch Schröder verstand es beide Male, sich als der Moderator zu präsentieren, der Trittins unausgegorene Vorarbeit zurückziehen mußte. Für die Presse verkörpert Trittin seither einen „Störfall“ (Tagesspiegel), eine „peinliche Fehlbesetzung“ (FAZ), er lege einen Eigensinn an den Tag, der an Unsinn grenze (Zeit). Trittins richtige Hinweise, die Atomnovelle sei abgestimmt gewesen, und er setze nur den Koalitionsvertrag um, fanden kaum Gehör.

Das hat aber auch mit Trittins ungeschicktem Auftreten zu tun. Mit abfälligen Bemerkungen über Wirtschaftsminister Werner Müller, vor allem aber mit der Absetzung der beratenden beiden Atom-Kommissionen des Umweltministeriums ohne Information Schröders beschwor er unnötige Konflikte herauf und lief der Taktik Schröders geradezu ins Messer. Seit der Spiegel Anfang des Jahres meldete, Trittin plane eine Steuer auf Kernbrennstäbe, und seine Sprecher, die den Umweltminister im Urlaub nicht rechtzeitig erreichen konnten, irrtümlich bestätigten, hat sich Trittins Image als Querulant in den Medien festgesetzt – obwohl der Vorschlag gar nicht von Trittin stammte.

So kann Schröder sich nun immer wieder allein mit den Strombossen treffen, ohne daß es jemanden aufregt. Ein Affront ist das gegen Trittin, der sich gegen seine Außenseiterrolle nicht mehr richtig wehren kann; vielleicht gefällt sie ihm auch recht gut. Damit ist nun eine Situation entstanden, in der öffentlich nur noch über Entschädigungen geredet wird, statt über die Risikotechnik Atomkraft. Das Ende der Wiederaufarbeitung ist nach hinten verschoben (auf vermutlich nicht unter fünf Jahre), ohne daß klar ist, wie schnell nun ausgestiegen werden soll.

Der Mechanismus ist eindeutig: Während sich die Grünen an den Koalitionsvertrag gebunden fühlen, macht Schröder mit seinem Wort vom Konsens und von der Bereinigung „handwerklicher Fehler“ Politik für Wirtschaftsinteressen. Dabei ist die Frage der Wiederaufarbeitung kein Nebenkriegsschauplatz zum Ausstieg. Das stärkste Druckmittel der Regierung gegen die Stromkonzerne sind die ungelösten Entsorgungsprobleme. Schröder ist, wie es scheint, dabei, dieses Mittel zum Ausstieg aus der Hand zu geben.

Wie es den großen umweltpolitischen Entwürfen der Grünen ergehen kann, ist an der ebenfalls lange umkämpften Ökosteuer zu sehen. In ihrer endgültigen Form erweckt sie den Eindruck, vor allem Finanzierungsmodell für die Senkung der Lohnnebenkosten zu sein. Die erste Hürde war älter als die Regierung: Schröders Wahlkampfversprechen, die Benzinsteuer nicht um mehr als sechs Pfennig zu steigern.

Auch hier war es dann die SPD, die vom bereits lauen Entwurf im Koalitionsvertrag abwich: Als erstes setzte sie einen deutlich ermäßigten Steuersatz für das gesamte produzierende Gewerbe durch. Im rotgrünen Vertrag war nur von einer Ausnahme für die energieintensive Industrie die Rede. Die Grünen mußten sich sogar auf die Hinterbeine stellen, um die vertraglich vereinbarte Förderung regenerativer Energien durchzusetzen, die Lafontaine Anfang Januar kurzerhand gestrichen hatte. Ironischerweise war es ausgerechnet die EU-Kommission, die die Ökosteuer an einer Stelle umweltfreundlicher machte: Sie erzwang, aus Wettbewerbsgründen auch die energieintensiven Branchen zu besteuern.

Eines ist nach 100 Tagen sicher: Die Grünen werden es schwer haben, auch nur das zu verteidigen, was bereits im Koalitionsvertrag steht.