Reality-TV aus Boberg

Video-überwachte Neubausiedlungen beschäftigen nun auch die Bürgerschaft  ■ Von Heike Dierbach

Bei der Hanseatischen Wohnbau GmbH ist man „erstaunt“ über das „Medienchaos“ um das geplante „Dorf der Zukunft“ im Bergedorfer Ortsteil Boberg. „Wir machen nur, was bereits 100fach in Deutschland praktiziert wird“, betont Sprecher Thomas Maul. Eine Siedlung möchte das Unternehmen bauen, deren 750 Häuser sowie Straßen, Plätze und der Kinderspielplatz von Kameras gefilmt werden. Die Bilder sollen über das Fernsehnetz in alle Haushalte übermittelt werden. Gestern war dieser Zankapfel Thema in der Fragestunde der Bürgerschaft.

Während Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) eine flächendeckende Überwachung in Wohnquartieren ablehnte, da „Hamburg dann keine freiheitliche Stadt mehr wäre“, beteuert Maul, daß die Kameras „nur Panorama-Bilder liefern. Keine Person oder Autokennzeichen wird zu erkennen sein.“

Der selbsternannte Ordnungshüter von nebenan werde also nicht informiert, wenn Herr Müller mal wieder betrunken nach Hause kommt. Das „Kommunikationssystem“ zwischen den Haushalten solle vordringlich die Gemeinschaft im Dorf fördern, indem beispielsweise Stundenausfälle in der örtlichen Schule oder Sonderangebote des Supermarktes per Video abrufbar sind. Allerdings, räumt Maul ein, „ist Sicherheit für immer mehr Menschen von Bedeutung“.

Das hat auch die Vereinigte Hamburger Wohnungsbaugenossenschaft erkannt. Sie plant einen videoüberwachten Wohnblock in Wilhelmsburg. Die Geschehnisse in Tiefgarage und Hauseingängen sollen auch hier direkt in die Wohnungen übertragen werden – allerdings mit der Möglichkeit der Personenidentifizierung.

„Das sind keine Einzelfälle“, meint Ullrich Schwarz, Geschäftsführer der Architektenkammer, skeptisch. Die Entwicklung hin zu mehr Kontrolle reiche zurück bis zur Diskussion um die Bettler in der Innenstadt. Zwar müsse man Sicherheitsbedürfnisse ernstnehmen. Es dürfe aber in einer Großstadt keine „Gewinner- und Verliererzonen“ geben. Doch der Trend „vor allem wohlhabender Schichten“, möglichst viel Kontrolle auszuüben, ist da, weiß Holger Matuschak, Jurist der Architektenkammer: „Ihn aufzuhalten, ist auch eine rechtliche Frage.“

Aus Sicht der Hamburger Datenschützer ist eine Überwachung auf Privatgelände möglich, informiert Gunnar Hansen, der beim Datenschutzbeauftragten für Wohnungsverwaltung zuständig ist. Man prüfe allerdings noch, ob die Kameras in Wilhelmsburg auch Teile der Straße erfassen. Zudem, so Hansen, „müssen mindestens Hinweisschilder für die Besucher angebracht werden“. Auch in Boberg gebe es noch offene Fragen – etwa, ob digitale Kameras zum Einsatz kommen, deren Bilder sich leicht am Computer manipulieren ließen.

Bergedorfs Bezirksamtsleiterin Christine Steinert hätte keine Bedenken, Spielplätze per Video überwachen zu lassen. Amerikanische Zustände drohten deshalb nicht: „Boberg und Beverly Hills lassen sich nicht vergleichen.“