Heinz, Hans-Erich und ihr Meiler

In Stade demonstrieren 4000 Menschen aus ganz Deutschland für den Erhalt des Atomkraftwerks und ihrer Arbeitsplätze  ■ Von Gernot Knödler

Dieter Rosengarten ist der Mann mit dem Megafon – ein vorsichtiger Mann. „Bitte einigermaßen vernünftig verhalten“, sagt der 54jährige in das Handmikrofon seiner großen Flüstertüte. Mit diesem Satz begann gestern nachmittag die erste Demonstration nicht gegen, sondern für das 27 Jahre alte Atomkraftwerk Stade.

Nicht daß Rosengartens Appell notwendig gewesen wäre. In drei Säulen marschieren rund 4000 Männer und Frauen aus ganz Deutschland, darunter auch Bürgermeister Heinz Dabelow (SPD), Richtung Altstadt. Artig bleibt die Kolonne, die sich am Kraftwerk etwas außerhalb der Stadt gesammelt hatte, auf der rechten Straßenseite, damit der Gegenverkehr einigermaßen vorbeikommt. Vorne und hinten spaziert je ein Polizist.

Rosengarten, mit seinem weißblauen Preussenelektra-Helm, marschiert an der Spitze und, wie er überzeugt ist, für die Zukunft seiner Kollegen wie der Region. Seit 20 Jahren arbeitet er im Atomkraftwerk; als stellvertretender Schichtführer hat er dafür zu sorgen, daß bei der Produktion des Atomstroms nichts schiefgeht.

„Wir haben keinen Ersatz für diese Kraftwerke“, behauptet er. 350 Menschen beschäftigt das Atomkraftwerk Stade (KKS), dazu kommen 240 Mitarbeiter für den Netzbetrieb. Ein Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk, wie es als Ersatz fürs KKS vorgeschlagen worden war, würde nur 70 Angestellte benötigen. „Abschalten = Arbeitslos“ steht auf dem Transparent eines Demonstranten.

Vor dem zweiten Haus in Hollern, einen Kilometer vom Atomkraftwerk entfernt, stehen Gisela Hinners und ihre Tochter Manuela am Gartenzaun und grüßen die Demonstranten: „Hallo Heinz!“, „Hallo Hans-Erich!“ Die Hinners' haben schon in Hollern gewohnt, bevor das AKW gebaut wurde. Heute arbeitet fast die ganze Familie dort: der Mann, zwei Töchter, die Nichte – und die Nachbarin. Sorgen macht ihnen der alte Atommeiler nicht: „Es ist noch nie 'was passiert, warum soll jetzt 'was passieren?“, fragt Manuela, die in der Kraftwerksküche arbeitet. Mutter und Tochter drängen auf ein Ende des Interviews, damit sie endlich mitmarschieren können.

An der Straßenbrücke über den Bahnhof, kurz vor dem Zentrum Stades, vereinigt sich der Zug vom Kraftwerk mit dem Zug der Preussenelektra – Leute aus dem Ruhrgebiet. „Hallo Männer“, ruft Rosengarten ins Megafon, „wir begrüßen Euch, heute ist unser Tag.“ Die Genossen antworten mit einem Pfeifkonzert. Ist das seine erste Demo? – „Nein“, sagt Rosengarten gedehnt, „ich bin doch aktiver Gewerkschafter!“

Auf dem Platz Am Sande, im properen Zentrum Stades, freut sich Horst Schreiber, der Betriebsratsvorsitzende des KKS, über den Auflauf. „Ich bin sprachlos“, ruft er in die Menge und kündigt ein halbes Dutzend Philippiken von Gewerkschaftern und Politikern an – nicht allerdings, ohne noch einmal gutes Betragen anzumahnen: „Wir verlassen den Kundgebungsort so, wie wir ihn vorgefunden haben!“