"Steinreich ist relativ"

■ Die Freie Volksbühne ist verkauft. Ein Gespräch mit Dietger Pforte, dem Verkäufer und Vorsitzenden des Vereins Freie Volksbühne

Eine große Theatertradition geht zu Ende. Die Freie Volksbühne in der Schaperstraße, hervorgegangen aus der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts, seit 1963 Spielort für Regisseure wie Erwin Piscator, Kurt Hübner und Hans Neuenfels, soll künftig zu einem Art House werden. Bereits 1992 waren der Freien Volksbühne, dem lange Zeit wichtigsten Privattheater Berlins, von der rot-grünen Koalition die öffentlichen Gelder gestrichen worden. Seitdem wurden dort mit mäßigem Erfolg Musicals aufgeführt.

taz: Herr Pforte, wissen Sie, was ein „Art House“ ist?

Dietger Pforte: Ich fürchte, das weiß im Moment keiner. Die künftigen Betreiber sprechen von gehobener Unterhaltung einschließlich Erlebnisgastronomie. Das ist nicht unbedingt das, wofür ich schwärme, aber das muß es auch geben.

Was waren die Gründe für den Verkauf der Freien Volksbühne?

Wir standen letzten Sommer kurz vor dem Konkurs und hätten damit nicht nur das Theater ruiniert, sondern auch unsere über hundertjährige Theaterbesucherorganisation. Wir haben kein Modell entwickeln können, das das Haus in die Gewinnzone gebracht hätte. Aber man kann es auch anders sagen: Wir haben von 1992 bis heute durchgehalten. Manche sagen, wir hätten schon damals Schluß machen sollen. Sicher ist, daß wir das Haus nicht gern verkauft haben.

Wie konnte es zu dieser Krise kommen?

Als uns der rot-grüne Senat 1992 die Mittel strich, haben wir als Verein acht Millionen Mark an Krediten aufgenommen, um das Haus mit neuer Bühnen- und Lichttechnik auszustatten. Wir hatten ja mit Friedrich Kurz („Shakespeare and Rock'n'Roll“, Anm. d. Red.) zunächst eine jährliche Pacht von zwei Millionen Mark vereinbart. Dann haben wir die auf 1,5 Millionen reduziert, aber auch das hat der Musicalbetrieb nicht gebracht, im übrigen nicht zuletzt wegen des Senats und seines Dumpingpreises fürs Schiller-Theater. Da waren wir nicht wettbewerbsfähig. Zusätzlich haben wir allein in den vergangenen eineinhalb Jahren ein Minus von einer Million Mark gemacht.

Wer hat die Entscheidung über den Verkauf getroffen? Eine Urabstimmung aller Vereinsmitglieder wird es ja wohl nicht gegeben haben.

Unsere Mitglieder wählen aus jedem Berliner Bezirk Deligierte in die Jahreshauptversammlung, unser oberstes Organ. Von diesen rund einhundert Abgesandten kamen neunzig zur letzten Hauptversammlung im Juni 1998. Die haben beschlossen, uns, dem Vereinsvorstand, freie Hand zu lassen, das Haus zu verkaufen.

Kritiker werfen Ihnen vor, Sie hätten leichtfertig gehandelt.

Wir haben bis zuletzt parallel mit dem Senat verhandelt, beispielsweise um die Freie Volksbühne der Berliner Festspiele GmbH als Gastspielbühne zu übertragen. Schließlich ist sie das technisch am besten ausgerüstete Theater in Berlin. Zwei bis sechs Millionen Mark wären dafür notwendig gewesen, je nach Umfang der Nutzung. Doch selbst diesen relativ geringen Betrag wollte und konnte die Landesregierung nicht aufbringen. Wir hatten keine andere Wahl, als zu verkaufen.

Und die technischen Einbauten, werden die denn jetzt verlorengehen?

Ich glaube nicht. Die Käufer wissen, daß die Freie Volksbühne ein denkmalgeschütztes Haus ist. Sie wollen, wie nebenbei bemerkt alle anderen kommerziellen Interessenten auch, den Teil des Geländes zur Meierottostraße hin bebauen, eventuell mit Eigentumswohnungen. Die Veränderungsmöglichkeiten beim Theater selbst halten sich gottlob in Grenzen.

Wie hoch war der Preis, den Sie erzielt haben?

Wir haben mit dem Käufer vereinbart, es noch nicht zu sagen, und dabei möchte ich auch bleiben. Was bisher in der Zeitung stand, ist auf jeden Fall zu hoch (Die Rede ist von 16 Millionen Mark, Anm. d. Red.). Mit Abschluß des Vertrages ist der Eigentümerwechsel ja noch nicht vollzogen. In den nächsten Wochen werden die nötigen Papiere umgeschrieben, dann werden wir die Summe nennen.

Wie auch immer: Nach dem Verkauf muß der Verein jetzt steinreich sein. Was machen sie mit dem vielen Geld?

Steinreich ist ein relativer Begriff. Ich hoffe, daß, wenn alle Schulden bezahlt sind, wir eine solide Basis haben für die Erneuerung unserer Theaterbesucherorganisation Freie Volksbühne. Auch wenn das altmodisch klingt: Wir haben immer noch einen Bildungsauftrag, d.h. wir bereiten auf den Theaterbesuch vor, geben Informationen über Autor und Inhalt des betreffenden Stücks und ähnliches.

In welcher Form geschieht dies?

Durch ein monatlich erscheinendes Blatt, das wir herausgeben. Das war in den letzten Jahren sehr dünn. Das wollen wir verbessern. Außerdem wäre denkbar, eine Stiftung zu gründen, die kulturfördernd auftritt. Aber das muß noch intensiv im Vorstand diskutiertwerden. Auf jeden Fall müssen wir deutlicher als bisher Angebote vorhalten, die unsere Mitglieder zum Mitmachen animieren. Interview: Ulrich Clewing