Schlimme Folgen durch schlimmen Finger

Das juristische Nachspiel der Wahlpatenschafts-Aktion „Suveyda geht wählen“ kann für die Jurastudentin Suveyda Ugan ungeahnte Folgen für ihren Studienabschluß und die Einbürgerung haben  ■ Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova

Als am Wahlsonntag im vergangenen Jahr der Kabarettist „Dr. Seltsam“ und die Studentin Suveyda Ugan zusammen die Wahlkabine in der Urbanstraße in Kreuzberg betraten, wußten sie nicht genau, ob man sie gewähren lassen würde. Unter großem Medienaufgebot war der Kabarettist mit einer verbundenen rechten Hand und einem ärztlichen Attest erschienen. Weil nach der Bundeswahlordnung behinderte Personen eine Begleitung zum Kreuzchenmachen in die Kabine mitnehmen dürfen, konnte sich „Dr. Seltsam“ alias Wolfgang Kröske von der Studentin Suveyda Ugan den Wahlzettel ausfüllen lassen. Den Kabarettisten verabschiedete der Wahllokalleiter später mit den Worten: „Jetzt sollten Sie zum Arzt gehen und sich wieder gesund schreiben lassen.“

Was als Kabarettnummer daher kam, hatte einen durchaus ernsten Hintergrund. Mit der Aktion „Suveyda geht wählen“, einer Kampagne der Wählerinitiative für Christian Ströbele, wurden Wahlpatenschaften zwischen NichtwählerInnen mit deutschem Paß und BerlinerInnen ohne Wahlrecht vermittelt. Mehr als 60 Wahlpatenschaften waren zustande gekommen. Weil das Wahlrecht strafrechtlich geschützt ist, ließen sich die Organisatoren der Aktion einen Trick einfallen: Die Ausländer „überzeugten“ ihre Paten, wo sie das Kreuz machen sollten.

Der gemeinsame Wahlgang von Wolfgang Kröske und Suveyda Ugan hat nun, besonders für die Studentin, ungeahnte Folgen. Nachdem Mitte Januar ihre Wohnung sowie die von „Dr. Seltsam“ und dem Bündnisgrünen Matthias Dittmer und Özcan Mutlu durchsucht wurden (taz berichtete), droht nun den Beteiligten eine Anklage wegen Wahlfälschung. Sollte es tatsächlich so weit kommen, wäre die in Berlin geborene 26jährige Suveyda Ugan die eigentliche Leidtragende der Aktion. Denn die Jurastudentin steht kurz vor ihrem Staatsexamen und wartet auf die vor zwei Jahren beantragte Einbürgerung. Selbst eine Geldstrafe könnte einen abschlägigen Bescheid für ihren Einbürgerungsantrag bedeuten.

Nach Angaben der Justizpressestelle ist unklar, wann die Ermittlungen abgeschlossen sein werden und ob es zu einer Anklage kommt. Die Zeugenvernehmungen durch das Landeskriminalamt dauern noch an. Wegen Wahlfälschung können Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren oder Geldstrafen verhängt werden.

Derzeit wollen sich weder Suveyda Ugan noch ihre Anwältin äußern, weil sie die Akten noch nicht eingesehen haben. Für den Bündnisgrünen Özcan Mutlu haben es die Ermittlungsbehörden ganz klar auf die Studentin abgesehen. „Die haben Suveyda auf dem Kieker“, sagte Mutlu gestern gegenüber der taz. „Uns als politisch aktiven Menschen wird die Sache keinen Schaden machen“, so der Bündnisgrüne weiter, „doch Suveyda schon“. Das sei auf keinen Fall hinnehmbar. Mutlu betonte gleichzeitig, daß er nach wie vor hinter der Aktion stehe. Er kündigte an, zur Abgeordnetenhauswahl am 10. Oktober erneut Wahlpatenschaften organisieren zu wollen. Doch dann in Form von Briefwahl-Patenschaften. „Wir können nicht akzeptieren,“ so Mutlu, „daß Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen werden.“

Der Anwalt von Wolfgang Kröske, Matthias Jahn, kündigte gestern an, selbst einer Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldstrafe nicht zuzustimmen. „Wir werden nicht klein beigeben“, betonte der Anwalt. Demnächst will Jahn Beschwerde dagegen einlegen, daß die Polizei bei der Hausdurchsuchung bei seinem Mandanten eine Seite aus dessen Tagebuch beschlagnahmt hatte. Dort hatte Wolfgang Kröske das ärztliche Attest eingeklebt, wonach ihm das Halten eines Stiftes in der rechten Hand tageweise unmöglich ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, so der Anwalt weiter, dürfen Tagebücher nur in Ausnahmefällen beschlagnahmt werden, wie etwa bei Ermittlungen in einem Mordfall.