Zurück zum Zentralorgan

■ Eigentlich wollte das "Neue Deutschland" der Partei nicht mehr so nah sein, wie einst. Doch nun muß der PDS-Chef sagen, wie es weitergeht

Lothar Bisky hat zur Zeit frei und reist „zu Studienzwecken“ durch seine Heimat Brandenburg und Berlin. Das hört sich nicht gerade nach einem entspannten Winterurlaub an. Und nun muß der PDS-Parteivorsitzende auch noch eine Entscheidung treffen von der gut neunzig Arbeitsplätze treuer Genossen abhängen. Zum Ausklang seiner Ferien gegen Ende dieser Woche entscheidet Bisky über die Zukunft des Neuen Deutschland (ND).

Vor einer Woche trafen sich Chefredakteur Reiner Oschmann und Geschäftsführer Wolfgang Spickermann mit den PDS-Häuptlingen Lothar Bisky, Gregor Gysi und Dietmar Bartsch, dem Bundesgeschäftsführer der Partei in Berlin. Der Chefredakteur hatte um den ungewöhnlichen Termin gebeten, der einem Schiedsgericht glich. Oschmann und Spickermann können nicht mehr miteinander. Einer muß das Feld räumen.

Der Führungsstreit hat einen dramatischen Hintergrund: Nur noch 63.000 Leser findet das ND am Tag, kaum jemand will inserieren, rentabel ist der Betrieb schon lange nicht mehr. Weil der Großteil der Leser die Siebzig längst überschritten hat, sinkt die Auflage vornehmlich aus biologischen Gründen. Neue Leser findet das Autorenkollektiv aus PDS-Chronisten und Verteidigern „ostdeutscher Biographien“ kaum noch. Viele der Redakteure sorgten zu den seligen Zentralorganszeiten als Auslandskorrespondenten für korrekte Berichte aus der Welt jenseits von Mauer und Freundschaftsgrenze Ost. Manch ein Besitzer des roten Diplomatenpasses der DDR war auch bei der Stasi als Gesprächspartner gefragt.

So wie jetzt könne es nicht weitergehen, fand Spikermann, und schrieb im Dezember einen offenen Brief an seine Redakteure. Der Auflagenschwund sei auch den Inhalten des Blattes geschuldet. Das ND solle sich mehr auf Politik konzentrieren, da die Unterhaltungsseiten ohnehin kaum gelesen würden. Bis Ende Januar müßten sich die Dinge ändern, sonst sei mit ihm als Geschäftsführer nicht mehr zu rechnen: „Ich habe meine Kündigung angeboten“, sagt Spickermann jetzt, nachdem sein Ultimatum abgelaufen ist, „wir müssen Teile des Inhalts unserer Zeitung wieder näher an die Leser rücken“. Den gemeinen ND-Leser wähnt er im Osten verwurzelt und stark der PDS zugetan. Für so einen Kurs wollen sich allerdings Oschmann und seine Kollegen aus der Chefredaktion nicht begeistern. Spikermann: „Mit der Chefredaktion muß ein Konsens hergestellt werden. Den kann ich zur Zeit nicht erkennen.“

Oschmann, selbst vor Jahren aus der PDS ausgetreten, steht für ein „linkes“, aber „pluralistisches“ Blatt. Zum Beispiel hob er im vergangenen Herbst eine Deutschland-Debatte ins Blatt:„Wie national muß die Linke sein?“. Es hagelte Abbestellungen. Echter Streit im postsozialistischen Lager wird längst woanders ausgetragen, als im Neuen Deutschland. Der PDS-Querdenker André Brie zum Beispiel provoziert lieber in der Berliner Zeitung.

Der Dissens zwischen Oschmann und Spiekermann hat die Redaktion tief verunsichert. Über ihren Arbeitgeber sprechen die „sozialistischen Journalisten“ nicht am Diensttelefon und auch zu Haus erst, wenn „Informantenschutz“ förmlich zugesichert wurde.

Jetzt muß also Lothar Bisky entscheiden. „Wir sind der Gesellschafter des ND und benennen Geschäftsführung und Chefredaktion“, sagt Hanno Harnisch, Parteisprecher der PDS. Diese Deutlichkeit ist neu, legte die Partei bisher doch peinlichst Wert darauf, sie nehme keinerlei Einfluß auf das Blatt, das nur nominell einen zweiten Gesellschafter neben der PDS hat. „Die PDS hat sich in den letzten Jahren so wenig wie möglich eingemischt und dem ND eine Unabhängigkeit gewährt von der andere Zeitungen träumen.“, behauptet der PDS-Sprecher. Einmal im Jahr wurde der Parteivorstand offiziell über den Gang der Dinge beim ND unterrichtet, bezuschußte das Blatt aber im vergangenen Jahr immerhin mit einer dreiviertel Millionen Mark, wie es intern heißt. Peinlich bemüht wollte die PDS den Eindruck vermeiden, irgendeinen Einfluß auf die Berichterstattung zu nehmen. Da gebe es schließlich einen „historischen Rucksack“ sagt Parteisprecher Harnisch. Die Erinnerung an das willfährige Zentralorgan ist allenthalben noch wach. Heute heißt es in der PDS, man habe vielleicht früher eingreifen müssen beim ND. Das Konzept lange Leine hat in diesem Fall ein überraschendes Ergebnis: Der Hund verirrt sich, weiß nicht mehr in welche Richtung und läuft schließlich freiwillig zum Herrchen zurück.

Im Verlag sieht man die Rettung in den alten Genossen. Mögen sie auch einst aussterben, noch sind sie die treueste Zielgruppe und eine wohlbekannte dazu: Sie wollen Infos aus dem Kosmos der PDS. Die allerdings träumt sich lieber eine richtige Zeitung. Sprecher Harnisch „Das ND wird auf jeden Fall mehr bleiben als ein Klientelblatt der Partei.“ Robin Alexander