■ Nordirland: Militante Protestanten rüsten wieder auf
: Wege aus der Sackgasse

Der IRA sind von Splittergruppen Waffen gestohlen worden, die probritische Ulster Volunteer Force (UVF) rüstet auf – doch Nordirland steht deshalb nicht unbedingt vor einem neuen Krieg. Die Gefahr für den Waffenstillstand droht eher von anderer Seite. Der Unionistenchef David Trimble spielt für die Galerie der Hardliner im eigenen Lager, wenn er die Herausgabe der IRA-Waffen zur Vorbedingung für jeden weiteren Schritt im Friedensprozeß macht. Solange das tiefe Mißtrauen auf beiden Seiten besteht, wird niemand abrüsten. Für den Erfolg des Friedensprozesses ist das vorerst auch gar nicht nötig. Wichtiger ist es, das Mißtrauen allmählich abzubauen, damit die Waffen als Rückversicherung überflüssig werden.

Die Ankündigung von amnesty international, die Situation in Nordirland zu untersuchen, kann dazu beitragen, einen Weg aus der Sackgasse zu finden – wenn sich die Menschenrechtsorganisation nicht von Trimble in ihrem Untersuchungsfeld einschränken läßt. Doch der Unionistenchef will amnesty für seine Zwecke instrumentalisieren, es sollen nur die „Strafaktionen“ untersucht werden. Die Knieschüsse und die brutalen Attacken mit Baseballschlägern hängen zum Teil mit der Geschichte der nordirischen Polizei zusammen. Die Royal Ulster Constabulary, die RUC, ist Teil des Problems. Über Jahrzehnte hat sie bewiesen, auf welcher Seite sie steht: 93 Prozent ihrer Mitglieder sind protestantisch, viele sympathisieren mit paramilitärischen Organisationen.

Die Weitergabe von Personalakten mutmaßlicher IRA-Mitglieder an loyalistische Mordkommandos, die gezielten Todesschüsse und die rücksichtslosen Einsätze gegen Demonstrationen der Nationalisten haben dafür gesorgt, daß man in den katholischen Vierteln Nordirlands nicht das geringste Vertrauen in die RUC hat. Selbst bei Einbruchsdelikten oder Autodiebstählen wenden sich die Leute eher an die IRA als an die Polizei. Nun hat sie es sich auch mit den protestantischen Hardlinern verdorben, weil sie deren Paraden durch katholische Wohngebiete auf Anordnung der Politiker verhindern muß.

In diesem Vakuum blüht die Selbstjustiz. Das ist zwar keine Entschuldigung für die „Strafaktionen“, es zeigt jedoch, daß viele Faktoren zusammenkommen müssen, will man eine Konfliktlösung finden. Die Polizeireform ist einer davon, und er hat im britisch-irischen Abkommen vom Karfreitag 1998 den gleichen Stellenwert wie die Abrüstung paramilitärischer Organisationen. Wer das Abkommen selektiv anwendet, nimmt das Scheitern in Kauf. Ralf Sotscheck