Naturschutz für das Vaterland

Trotz Wackersdorf und Startbahn West – Umweltschutz ist keineswegs eine Erfindung der siebziger Jahre. Die ersten Naturschutzvereine wurden bereits vor hundert Jahren gegründet. Was die Umweltstreiter von heute jedoch gern vergessen: Für die Bewahrung von Flora und Fauna setzten sich zunächst vor allem Konservative ein. Mit Kapitalismuskritik und Fortschrittsskepsis hatte deren Engagement noch wenig zu tun. Wer die Natur schützte, diente seinem Vaterland  ■ Ein Dossier von Matthias Urbach (Text) und Pt Meise (Fotos)

Ernst Rudorff beobachtet eine „wahre Manie“, die Natur aus Genußsucht „zu zerstören“. Er will verhindern, daß für ein Wasserkraftwerk die natürlichen Stromschnellen des Rheins bei Laufenburg überbaut werden. Mit einem Gegengutachten versucht der Naturschützer und Musiker, eine schonendere Variante zum geplanten Großprojekt zu erzwingen.

Auch Lina Hähnle kann „die rücksichtslose Ausbeutung der Natur einfach nicht mehr mit ansehen“. Besonders Vögel liegen der 48jährigen Mutter von sechs Kindern am Herzen. Um massenwirksam für deren Schutz zu werben, entwirft sie Broschüren mit mahnenden Szenarien über den drohenden Schwund von Säbelschnäblern und Graureihern.

Rudorff und Hähnle organisieren nicht die neuesten Greenpeace-Kampagnen. Beide gründeten eigene Naturschutzverbände – vor hundert Jahren.

Umweltschutz ist keine Erfindung der siebziger Jahre. Schon um die Jahrhundertwende gingen Rudorff, Hähnle und ihre Mitstreiter mit modernen Mitteln vor: Mit Flugblättern, Pressearbeit und werbewirksamen Aktionen. Bereits 1895 tagte in Paris die erste internationale Konferenz für Vogelschutz, um Zugvögel vor dem Aussterben zu bewahren. Im Februar 1899 gründete Lina Hähnle mit dem Bund für Vogelschutz (BfV) den ersten reichsweiten Naturschutzverein, den Vorläufer des heutigen Naturschutzbundes (Nabu). 1904 folgte Rudorffs Gründung des Bunds Heimatschutz.

Für diese Vorläufer fehlt den Umweltschützern der siebziger und achtziger Jahre jedes Bewußtsein, sagt der Historiker Thomas Adam. Sie „betrachteten sich vielfach als etwas völlig Neues“. Dabei prägte Rudorff den Begriff „Naturschutz“ bereits vor 120 Jahren, wenn auch unter gänzlich anderen politischen Vorzeichen.

Dem Komponisten Ernst Rudorff und der mit einem Industriellen verheirateten Lina Hähnle, geht es nicht um Systemveränderung oder um Basisdemokratie. Sie konzentrieren sich auf den Schutz der Natur. Und Naturschützer vor hundert Jahren sind staatstragend. Verunsichert durch den raschen technischen und sozialen Wandel, versucht die bürgerliche Schicht, das Vertraute zu verteidigen. Der Professor Konrad Guenther, Funktionär im BfV wie im Bund Heimatschutz, sagt 1919, es sei „ohne Natur keine Naturliebe und ohne diese keine Vaterlandsliebe möglich“.

Vordenker und einflußreichster Kopf der frühen Naturschutzbewegung ist Ernst Rudorff. Sein Bund Heimatschutz propagiert am stärksten die Verbindung von Natur und Patriotismus. Rudorff, geboren 1840 in Berlin, ist stark von der Romantik beeinflußt. Er studiert Komposition und Klavier, unternimmt Konzertreisen mit Clara Schumann und Julius Stockhausen, ist schließlich Erster Klavierlehrer an der königlichen Musikhochschule Berlin. Aufgewachsen in Berlin zieht es ihn schon als Jungen regelmäßig auf den Landsitz der Familie, wo er Zeuge der Veränderungen durch die moderne Technik wird.

Folglich klagt Rudorff über Eisenbahnbau und einen „Wald von Fabrikschornsteinen, die mit ihrem Qualm allen Duft der Poesie längst hinweggeräuchert haben“. Vor allem aber beunruhigt ihn die zunehmende Flurbereinigung, die er 1880 als eine „gewaltsame“ Aufzwingung einer „abstracten Theorie“ auf das „bunte anmuthige Land“ empfindet: „Jede vorspringende Waldspitze wird dem Gedanken der bequemen geraden Linie zuliebe rasiert, keine Lichtung, auf die das Wild heraustreten könnte, mehr geduldet. Die Bäche müssen sich bequemen, in Gräben geradeaus zu fließen. Bei der rechtwinkeligen Einteilung der Grundstücke fallen denn auch alle Hecken und einzelnen Bäume oder Büsche der Axt zum Opfer.“

Ihm geht es keineswegs nur um den Schutz von Pflanzen und Tieren. Für ihn ist der „Boden des Landes“ die Bedingung „aller Kultur von Anfang an gewesen“ und muß daher um der Identität der Deutschen willen geschützt werden. Natur als Energiequelle des Volkstums.

Rudorff beläßt es keineswegs bei Worten, er gibt große Summen aus für Grundstücke, um Waldränder und Wiesen vor der preußischen Flurbereinigung zu retten. Dem Vorbild der USA folgend, die 1864 unter dem Eindruck der rücksichtslosen Besiedelung des Westens mit Yosemite den ersten Nationalpark der Welt gründen, will er solche Parks auch in Deutschland einrichten, sie aber lieber als „Heiligtümer des Volkes“ bezeichnen. Wohl kaum zufällig trägt das Vereinsblatt Heimatschutz eine Titelgraphik, die eine beschauliche Hügellandschaft abbildet, im Vordergrund ein paar kleine Häuser, im Hintergrund eine Burgruine: Symbole für das Ideal der Überschaubarkeit und für das romantisch verklärte Mittelalter.

Doch der Bund Heimatschutz kann die technikfeindliche Position Rudorffs nicht lange durchhalten. Schon im ersten Konflikt des Vereins, im Streit um die Überbauung der malerischen Rheinstromschnellen im badischen Laufenburg für ein Wasserkraftwerk, erlebt er eine große Niederlage: Gegen den vereinten Hunger von Wirtschaft und Politik nach billigem Strom bleiben die Heimatschützer machtlos. Auch der pragmatische Versuch, einen naturschonenden Alternativentwurf ins Spiel zu bringen, schlägt fehl.

Obwohl sie einen renommierten Ingenieur beauftragen, wird dessen Entwurf für eine Tunnellösung von der Badener Regierung abgetan: Er sei viel zu teuer. Lediglich bei der Fassade des Kraftwerkes selbst dürfen die Heimatschützer mitreden. Alles, was von den Stromschnellen übrigbleibt, ist ein Gemälde, das Regierung und Investor 1908 wie zum Hohn auf die Heimatschützer in Auftrag geben. Eine „katastrophale Niederlage des Naturschutzes“, urteilt der Münchener Historiker Ulrich Linse 1997, die die Bewegung schon in der „Entstehung mit einem demoralisierenden Trauma belastete“ und für lange Zeit eine ökologische Korrektur des Industriekapitalismus in Deutschland verhindert habe.

Gemäßigte Kräfte gibt es unter den Heimatschützern von Anfang an. Der Architekt Paul Schultze-Naumburg kritisiert schon auf der ersten Bundesversammlung 1905 „absolute Stellungnahmen“ gegen Großprojekte. Auch ein Stausee könne „einem norwegischen Fjord gleich“ ein schöner Anblick sein und ein landschaftlicher Gewinn. Rudorff überzeugt das nicht: „Was hat, frage ich, ein norwegischer Fjord in der Eifel zu suchen?“ Noch kann er sich durchsetzen, doch 1911 schließlich ist Wasserkraft auch im Heimatbund akzeptiert.

Trotzdem gelingt es den Naturschützern in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts, ihr Thema in die Politik zu tragen: 1906 entsteht eine staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen unter Leitung des gemäßigten Heimatschützers Hugo Conwentz. Vor allem aber der BfV wird durch seine Beschränkung auf Vogelschutz schnell populär und erreicht 1908 mit der Novelle des Reichsvogelschutzgesetzes seinen ersten Lobbyerfolg. In bürgerlichen Kreisen wird Vogelschutz geradezu hip. Schon vor dem Ersten Weltkrieg kommt der BfV auf 41.000 Mitglieder, darunter die Industriellen August Vorwerk und Robert Bosch, die Könige von Sachsen und von Schweden sowie der US-Präsident Woodrow Wilson, die als Promis für die gute Sache stehen.

So wie heute Filmstar Brigitte Bardot gegen das Robbenschlachten wirbt, gewannen die Vogelschützer damals den Bestsellerautor Carl Georg Schillings. Während heute Fotomodels lieber nackt als im Pelz posieren, wollten damals viele Frauen lieber ohne Kopfbedeckung ausgehen, als ihre Damenhüte mit Federn von Paradiesvögeln zu schmücken. Selbst Kaiser Wilhelm II. drängt seine Frau bei einem Besuch in London, keine solchen Hüte zu kaufen. Außerdem spendet er fünfzigtausend Mark an den Verein Naturschutzpark, der damit zum Schutz erste Flächen in der Lüneburger Heide aufkauft.

Nach dem Krieg wird der Naturschutz 1919 in die Reichsverfassung aufgenommen, 1921 das erste Naturschutzgebiet in der Lüneburger Heide ausgewiesen. Durch die vielen Wirtschaftskrisen der Weimarer Zeit erlahmt der Elan der Umweltschützer jedoch. Immerhin können sie noch ein Naturschutzgesetz anschieben, das 1935 unter den Nazis vollendet wird.

Parallel zu den Naturschutzverbänden entsteht Anfang des Jahrhunderts die Wandervogelbewegung, die im Rudorffschen Sinne zivilisationskritisch ein „Zurück zur Natur“ leben will – und eine schwärmerische Naturreligiosität entwickelt. Auch eine proletarische Jugendbewegung teilt die Lebensformen der Wandervögel, obwohl sie eher auf Erholung vom Arbeitsalltag aus sind. Rudorff warnt davor, mit der Naturzerstörung den „Ideen der roten Nationale geradezu in die Hände zu arbeiten“. Doch der Arbeiterbewegung ist die Umwelt durchaus nicht gleichgültig, wie das Wort des Sozialdemokraten Philipp Scheidemann illustriert, der 1904 witzelt, die Wupper sei so schwarz, daß, wenn man einen Nationalliberalen darin untertauche, ihn als Zentrumsmann wieder herausziehen könne.

Anders als Lehrer, Juristen und Beamte, die in der Stadt ihre romantische Liebe zur Natur entdecken, ist die Erfahrung der Arbeiter geprägt von verschmutztem Trinkwasser und krankmachender Arbeit – sie holen sich Chlorakne in der Sodafabrik oder Kohlenlungen im Bergwerk. Ihnen geht es um Gesundheit, nicht um Heimat; für Natur interessieren sich die wenig mobilen Arbeiter vor allem als stadtnahen Erholungsraum. Da die Industrialisierung für sie durchweg positiv besetzt ist, sind sie für den allgemeinen Naturverbrauch blind. Kein Wunder, daß Konservative auf dem Naturschutztag in Kassel 1927 verbittert feststellen, „diese Leute sind für uns so gut wie tot“.

Auch wenn man die konservative Naturschutzbewegung nicht als Ahnen oder Förderer des Nationalsozialismus bezeichnen kann, so sind die Gemeinsamkeiten in der Ideengeschichte unübersehbar: Das Nazi-Schlagwort von „Blut und Boden“ muß für die Heimatschützer verheißungsvoll klingen. Zudem gibt sich Hitler als großer Vogelschützer. „Freudig stellen wir uns hinter den Führer, geloben, unsere ganze Kraft einzusetzen für sein hohes Ziel“, läßt der BfV verlauten. In ihm, dem mitgliederstärksten Verband, werden sämtliche Naturschutzverbände gleichgeschaltet – unter dem Namen Reichsbund für Vogelschutz. Doch die Hoffnungen der Naturschützer werden enttäuscht, das ökologische Erbe der Nazis ist verheerend.

So sind die Naturschützer völlig machtlos, als nach dem Zweiten Weltkrieg der Wiederaufbau stärkere Eingriffe in Landschaft und Baudenkmäler bringt als das Bombardement im Krieg. „Rauchende Schlote“ prangen nun von den Wahlplakaten von SPD und FDP, ihr Anblick wird nicht mehr mit Smog verknüpft, sondern mit der Aufbauleistung. Nur langsam erholen sich die Verbände. Erstmals erlangt Umweltschutz im Wahlkampf der SPD 1961 wieder Aufmerksamkeit, als diese den „blauen Himmel über der Ruhr“ propagiert und ein Jahr später in Nordrhein- Westfalen das erste Immissionsschutzgesetz erläßt. Dabei sind noch immer Fortschritt und Umwelt im Einklang, stehen technische Lösungen im Vordergrund.

Das ändert sich mit dem Buch „Stummer Frühling“ der US-Amerikanerin Rachel Carson, die 1962 die erste große ökologische Hiobsbotschaft publiziert, in der sie vor dem Aussterben der Vögel durch Pestizide warnt. Weitere Warnungen folgen, die schließlich in dem Bericht des Club of Rome, „Die Grenzen des Wachstums“, gipfeln. 1969 nimmt die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt – ohne politischen Druck – erstmals den Umweltschutz in eine Regierungserklärung auf. Und Probleme gibt es genügend, so existiert etwa keine geordnete Mülldeponierung. Der Abfall ist auf fünfzigtausend gewissermaßen wilde Müllkippen verteilt.

Die Umweltpolitik von oben steigert das Umweltbewußtsein deutlich. Gleichzeitig wächst an der Basis der wertkonservative Widerstand gegen die Atomenergie, deren Ausbau die sozialliberale Regierung nach der Ölkrise von 1973 forciert. Doch im Zuge der neuen sozialen Bewegung der 68er prägt sich der Umweltbewegung diesmal Zivilisationskritik von links auf, ein emanzipatorisch-basisdemokratischer Ansatz. Die Rettung der Erde vor der kapitalistischen Ausplünderung wird vorherrschendes Motiv der Bewegung.

Besonders erfolgreich ist die Antiatombewegung vor allem dort, wo sich wie in Gorleben ein wertkonservativer Widerstand vor Ort mit linken Gesellschaftskritikern vereint. Der Kampf gegen die Atomkraft verbreitert sich zu einer ökosozialen Bewegung, die schließlich 1980 in der Gründung der Grünen mündet.

Das Anfang der Achtziger aufgeworfene Problem des „Waldsterbens“ macht Umweltschutz endgültig zum Mainstreamthema. In Teilen der Umweltbewegung avanciert die Ökologie zu einer Art allumfassenden Heilslehre. Dem Wirrwarr um die offiziellen Strahlengrenzwerte nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl von 1986 und dem damit einhergehenden Glaubwürdigkeitsverlust begegnet die Bundesregierung unter Helmut Kohl schließlich mit der Gründung des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – das Thema Umwelt hat sich endgültig in der Politik festgesetzt.

Trotz der zunehmenden Hinweise auf einen drohenden Klimawandel verliert mit der Wiedervereinigung Umweltschutz an Bedeutung. An die Stelle der globalen Ökokatastrophe schiebt sich das Horrorszenario des Untergangs des Standortes Deutschland im Globalisierungsstrudel. Auch die rot-grüne Regierung kann und will diese Prioritäten nicht verschieben. Während die großen Umweltverbände sich inzwischen in ihren Politikfeldern immer mehr annähern und heute alle das gesamte Feld von Atomkraft über Ökosteuer bis Artenschutz beackern und die Schicht der aktiven Funktionäre eher links orientiert ist, gilt das Hauptinteresse ihrer Mitglieder nach wie vor einem bewahrenden Naturschutz.

Und über den Naturschutz stellen die Verbände noch immer ihre Finanzierung sicher. Insbesondere für Tierschutz spenden und zahlen die Mitglieder mit Abstand am meisten. In der politischen Lobbyarbeit machen sich die Ökoverbände zunehmend Konkurrenz. Bei ihrem Standbein, dem Naturschutz, gibt es noch immer eine Arbeitsteilung nach Tiergrößen: die Vögel dem Nabu, Biber und Flußlandschaften dem BUND, Pandas und Elefanten dem WWF und die Wale Greenpeace. Während die mitgliederstarken Verbände Nabu und BUND sich vor allem beim heimischen Naturschutz engagieren, agieren WWF und Greenpeace international.

Diese Verwurzelung im Naturschutz erklärt, warum der Nabu auch zum hundertsten Geburtstag noch Mitgliederzuwächse aufweisen kann, obwohl Umweltschutz – wie schon einmal – seinen zivilisationskritischen Impuls verloren hat und zu einem normalen Politikfeld geschrumpft ist.

Denn eine Konstante zeigt sich über die Jahrzehnte: Die Liebe zur Natur bildet die Seele des Umweltschutzes.

Matthias Urbach, 32, ist seit 1997 taz-Redakteur im Ressort Wirtschaft und Umwelt.

Pat Meise, 43, lebt als freier Fotograf in Frankfurt/Main und arbeitet u.a. für Stern, Zeit und das FAZ-Magazin. Schwerpunkte: Landschafts- und Alltagsreportagen.