Fall ins Wunderland

■ Eine Gala im Schloß Charlottenburg zur Verleihung des Neuköllner Opernpreises

Ist's möglich? Eine Gala der Neuköllner Oper, und dann noch im Charlottenburger Schloß?! Einen Abend lang ist das kleine Privattheater von ungewohnt aristokratischem Glanz umstrahlt. Die Gasag machte es möglich, sie mietete die vorzüglich beheizten Räume, sorgte für ein feines Buffet und stiftete 10.000 Mark für den diesjährigen Neuköllner Opernpreis. Ein gelungenes Arrangement zwischen Kunst und Wirtschaft – da stört es nicht, wenn man einander nicht viel zu sagen hat.

„Die Kluft zwischen Leuten, die richtig Geld verdienen, und Künstlern, die erst abends um acht aufstehen, ist ungeheuer groß“, stellt Peter Lund von der Neuköllner Oper treffend fest, und das zeigt auch der Blick aufs Publikum: Damen im Ausgehdirndl, vielfach gepiercte Jünglinge, Herren mit grauen Schläfen, die laut überlegen, ob man die Orangerie nicht mal für eine Geburtstagsfeier nutzen sollte.

Schon zum zweiten Mal hatte die Neuköllner Oper junge Komponisten zu einem Opernwettbewerb eingeladen. Eine erste Szene von „Alice im Wunderland“ sollte vertont werden, mit nicht mehr als zehn Sängern und Musikern, damit das Werk in dem kleinen Theater spielbar ist. Den ersten Preis gewann der in Berlin lebende Komponist Hanno Siepmann. Bei der Gala wurden aber auch die Szenen aufgeführt, die die zweit- und drittplazierten Komponisten eingereicht hatten.

Den witzigsten Entwurf lieferte der 27jährige Doktorand der Biochemie, Björn Rabenstein. Der liebliche Wohlklang seines Sängerquartetts kippt im Prolog immer wieder in chromatisch absteigende Dissonanzen um. Der Auftritt des weißen Kaninchens mit der Taschenuhr bringt Jazz-Elemente ins Spiel, und wenn das Ensemble dazu „Tickticktick“ singt, erinnert das von weitem an die Comedian Harmonists. Cello und Baßklarinette führen die Musik abwärts, Alice fällt ins Wunderland. Daß Rabenstein nur den dritten Preis erhielt, ist wohl vor allem durch die blasse Arie der Alice zu erklären.

Der 20jährige Torben Maiwald, frisch von der Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule in Detmold, gibt dem eiligen Hasen umfangreiche Regieanweisungen und ein Handy mit, imitiert das Ticken der Uhr durch ein Glockenspiel und läßt das sommerliche Leben in Alice' Garten in eingeworfenen Bläserklängen erahnen. Hanno Siepmanns Entwurf verweigert sich dem Naheliegenden: Da wird unisono gesungen, das Uhrticken synkopisch umgesetzt, und das fast zwangsläufige Abwärtsmotiv erscheint ausgerechnet im Sprechchor der Orchestermusiker. Am eindrucksvollsten ist Alice' Arie, die volksliedhaft schlicht beginnt und dann immer schwelgerischer die Wonnen des Fallens feiert.

Dann werden die Preise vergeben, die Komponisten strahlen wie Honigkuchenpferde, und Hanno Siepmann will unbedingt etwas sagen, verliert aber den Faden. „Auseinandersetzung, Diskurs, das bringt weiter“, schwafelt er noch, der Rest geht im Gelächter des Publikums unter. Aber bei der Uraufführung am 25. Februar wird seine Kammeroper „Alice“ ja für ihn sprechen. Miriam Hoffmeyer