Vergiftete Pfeile und Clothilde

Der Manu-Nationalpark in Peru: Baumriesen wie gotische Kathedralen, die Kommunikation der Brüllaffen und allerlei giftige Kräuter gegen Unheil. Eine Bootsfahrt durch das Amazonasbecken  ■ Von Manfred Schmidt

Unsere Reise in das Amazonasbecken beginnt in Cuzco. Unser Ziel: die Tier- und Pflanzenwelt des Regenwaldes, eingeborene Curanderos, Schamanen und ihre Geschichten. Östlich der Anden erstreckt sich über ein Gebiet von nahezu 2.000.000 Hektar der Manu-Nationalpark. Er ist aufgeteilt in eine kultivierte Zone, die nur limitiertem Tourismus zugänglich ist. Die anderen zwei Drittel Fläche sind nur Forschern und ansässigen Nativen offen. Sie zeichnen sich durch eine enorme Artenvielfalt aus.

Erinnerungen an Bücher meiner Jugend, an vergiftete Pfeile, Blasrohre, Jaguare und Schlangen tauchen auf. Gut ausgestattet mit Zelten, Moskitonetzen und festem Schuhwerk, umsorgt von einem Führer und einem Koch, ziehen wir los. Schon bald hinter Cuzco verläßt der Kleinbus die Asphaltstraße, um auf eine schmale Piste abzubiegen, die uns schier endlos, den steilen Flanken karg bewachsener Berge folgend, in schwindelerregende Höhen führt.

Die aufkommende Wärme genießend, folgen wir der Piste hinab, ans Ziel unserer Sehnsucht: Rio Madre de Dios. Während wir durch den Bosque de Nubes, den Wolkenwald, tiefer kommen, wird die Vegetation immer dichter, üppiger. Ziehende Wolkenfetzen, ewiges Tropfen, sinfonisches Rauschen von Bächen und Flüssen.

In Atalaya laden wir unsere Sachen auf ein Boot, das hier übliche Transportmittel. Cäsar, unser Steuermann, manövriert es souverän durch ruhige, breite Gewässer, steinige, enge Stromschnellen, vorbei an den gefährlichen Barrikadas, Anhäufungen von Baumriesen, die der Strom alljährlich zur Regenzeit entwurzelt und mit sich reißt. Zeitweise verändert er dann seinen Lauf, frißt neue Wege in den Urwald, läßt alte, tote Flußkurven zurück, die Cochas, ruhige Seen, die der Wald sich nach und nach zurückerobert. Dies sind unermeßbar reiche Biotope, ein Elysium für Biologen und Zoologen.

Wir besuchen die Ansiedlung Palotoa, weit oben am gleichnamigen Fluß. Da dieser zur Zeit nur wenig Wasser führt, heißt es einige Male aussteigen, um das Boot über die Untiefen zu schieben. Schweiß und wasserfeuchte Haut ziehen Scharen von Insekten an. Unangenehme Stiche und die Angst vor Krankheiten quälen uns. Hoch über dem Fluß und dem Dorfzentrum liegt Vitalianos, eine Handvoll Hütten, umgeben von Yucca- und Bananenplantagen.

Mich befremden die unregelmäßig blauschwarz gefärbten Gesichter und Körper der Menschen hier, bis mich Vitaliano aufklärt, daß diese eine Folge der Behandlung mit Huito sei, Abwehr gegen stechendes Ungeziefer. Neugierig lasse ich mich mit dem Saft der Frucht des Huitobaumes, die diese dunkle Färbung bewirkt, einreiben. Klare, kühlende Flüssigkeit. Erst nach mehreren Stunden setzt die Wirkung ein und hält an bis zur natürlichen Erneuerung der Oberhaut, also fast 3 Wochen. Die Blicke der anderen sind aufschlußreich. Andere Geheimnisse verrät Vitaliano nur zögernd. Der Saft des Sangre-de-Grado-Baumes verschließt offene Wunden sofort, Una de Gato, Katzenkralle, wirkt, als Tee aufgebrüht, fast gegen jede Krankheit, auch krebsheilende Wirkung wird ihrem Extrakt zugesprochen.

In Ditmante, kurz vor der Mündung des Rio Manu, beobachte ich einen Indio vom Stamme der Piro, der geschickt aus Rohr, Bambus und Federn Pfeile anfertigt. Er zeigt mir das Fläschchen Schlangengift, mit dem er die über dem Feuer gehärteten Pfeilspitzen impft. Ein Gewehr würde er nie benutzen. Sein lauter Knall verscheucht die Beute. Den Manu aufwärts, an der Cocha Juárez, können wir in der Manu-Lodge einige Tage zivilisierten Komfort genießen. Duschen und Toilette lösen verschwiegene Plätze im Wald und Bäder im Fluß ab.

Schon vor dem Frühstück macht sich eine Herde von Kapuzineraffen über die Küchenreste her. Die Kommunikation entfernter Brüllaffen läßt die Luft vibrieren. In den sich langsam hebenden Morgennebeln über der Cocha besorgt sich ein Riesenotter sein Mahl, um es ungestört am anderen Ufer einzunehmen. Der vermeintliche Baumstamm in den Wasserpflanzen am Ufer öffnet träge ein Auge. Auch Clothilde, ein Kaiman von gut drei Meter Länge, profitiert von den Küchenabfällen.

Interessantes spielt sich besonders am Boden und dicht unter der Krone des Waldes ab. Viele Arten von Käfern, Faltern und Ameisen bevölkern die unteren Regionen. Gedämpftes Licht, gedämpfte Stille und dann irgendwo fallende Blätter, die den Blick nach oben ziehen, wo ein Spinnenaffe Nahrung sucht, ein Faultier, der Bestimmung seines Namens folgend, am Ast hängt oder Vögel, ihren Standplatz wechselnd, schnell in undurchdringlichem Grün verschwinden.

Manche der Baumriesen muten wie gotische Kathedralen an. Aus gewundenem Wurzelwerk, das Wannen, Nischen, Spitzbögen bildet, winden sie sich empor, verzweigen ihre Äste in alle Himmelsrichtungen, überragen den Rest des Waldes oder sterben im Würgegriff schmarotzender Schlingpflanzen. Symbiose und Lebenskampf. Einer der Baumriesen bei Manu-Lodge ist mit einer Plattform ausgestattet, die man alpinistisch über einen Flaschenzug erreichen kann. Der Rundblick über endloses Grün bei Sonnenuntergang ist ein Erlebnis, gefolgt vom Abseilen in 30 Meter dunkle Tiefe.

Uns zieht es weiter, den Fluß hinauf, in die verbotene Zone. Nach einigen Verhandlungen und der Fürsprache von Forschern in Cocha Cashu gelangen wir bis Cocha Nueva, wo San Doval, Oberhaupt und Curandero von drei Familien, lebt. San Doval, der schlaue Fuchs, führt uns an der Nase herum. Durch die Geschenke zwar verpflichtet, weicht er immer wieder unserem Wunsch nach Einblick und dem Eindringen in ihre Lebensweise aus.

Wir fahren weiter, vorbei an Kaimanen, deren Augen nachts im Licht unserer suchenden Taschenlampen aufglühen, Schildkröten, Papageien, durch Gewässer voll von Piranhas und Caneros, kleinen Welsen, welche bevorzugt in Körperöffnungen Badender eindringen, aus denen sie sich, dank stachelig sich aufstellender Rückenflossen, nur schmerzhaft entfernen lassen. Endlich erreichen wir Boca Manu. Ein Hauch von Zivilisation, Flaschenbier, Zigaretten und am Abend zwischen 18 und 22 Uhr elektrisches Licht.