Am Ende blieb es das Wort

45 Jahre blieb das „Wort zum Sonntag“ ein Relikt vortelevisionärer Zeiten im Programm. Ab heute sollte eigentlich alles anders werden, aber zu viele Bilder wollten sich die Kirchen schließlich doch nicht zumuten  ■ Von Ania Mauruschat

„Revolution!“ schrien die Journalisten anfangs auf. Dann wurde schnell eine „Reform“ – oder auch Reformation – daraus. Und jetzt ist nur noch von „Renovierung“ die Rede: Nach 45 Jahren erscheint das „Wort zum Sonntag“ heute erstmals geliftet auf dem Bildschirm. „Relaunches“ gibt es im deutschen Fernsehen allenthalben, aber die Neuausrichtung dieses Fossils ist schon ein medienhistorisches Ereignis. Über 2.200mal flimmerte das „Wort“ als „Hörfunk mit Paßbild“ seit dem 8. Mai 1954 in deutsche Wohnzimmer, handverlesen von mehr als 300 Männern und Frauen im Dienste Jesus. Prominentester Sprecher war Papst Johannes Paul II., beliebtester war Pfarrer Jörg Zink.

Und obwohl (oder weil) es die ganze Zeit gleich aussah, während sich im Fernsehumfeld alles andere immer schneller veränderte, wurde das „Wort“ zu einem christlichen Markenartikel, einem „kirchenmedialen Adidas“ (Kirchenmann Sebastian Engelbrecht). Neben den rein religiösen Fünfminütern gab es später auch „Worte“ zur Schleyer-Ermordung und Eschede, zu Guildo Horn und Viagra. Manchmal entglitt der Tiefsinn dabei allerdings.

Als die ARD-Gremien sowie der evangelischen und katholischen Kirche sich letztes Jahr zur Veränderung entschlossen, war es höchste Zeit: Die Kritik in den eigenen Reihen an der „voraufklärerischen“ Sendung war immer größer geworden, die „Fünf-Minuten-Terrine der Erbauung“ (Zeit) wollte keinem mehr recht schmecken. Ähnlich spannend wie „Der 7. Sinn“, konnte man immer weniger Zuschauer bannen – „man wußte schon vorher, was hinten rauskommt“, so Johanna Haberer, Rundfunkbeauftragte der evangelischen Kirche.

Hatten 1992 noch 3,2 Millionen religiös Interessierte nach den „Tagesthemen“ das „Wort“ als geistliches Betthupferl mitgenommen, so waren es 1997 nur noch 2 Millionen, womit die Quote von 17 auf unter 10 Prozent gepurzelt war.

Dennoch ist der Sendeplatz für die Kirchen Gold wert, denn die zwei Millionen kriegen sie sonntags nicht unbedingt in die Gotteshäuser. Dabei war das Verhältnis von Kirche und Fernsehen von Beginn an ambivalent – seit dessen Aufstieg guckten die Verkünder von Gottes Wort eifersüchtig auf den Fetisch einer immer bildersüchtigeren Gesellschaft. Die Kirchen wollten das Massenmedium nutzen und sicherten sich in der Bundesrepublik Sendezeit und Mitsprache (ihnen sei „angemessene Sendezeit zu gewähren“, gebieten die Rundfunkgesetze). Gleichzeitig aber ist ihnen das Medium nie ganz geheuer geworden. Ästhetischer Ausfluß dieses Zwiespalts war die Statik im „Wort zum Sonntag“. Am Anfang war und ist das Wort – aber wie verklickert man das Bildnutzern, die alles andere gewöhnt sind? Längst gibt es auch Jürgen Fliege und Leo Kirchs Bibelfilme, die zeigen, daß es schnell beliebig wird, wenn Christentum erfolgreiche TV-Formate zu okkuppieren sucht.

Dazu kamen ganz irdische Probleme: Auch die Kirchenkrise und die „Vergreisung“ der Gemeinden – wie auch die der „Wort“-Gucker – erforderten schnelles Handeln. Die „Stammgucker“ – mehr als 60 Prozent sind Frauen über 49 Jahre – sollten dabei nicht verscheucht, junges Publikum aber auch dazugewonnen werden: Ein Wunder mußte vollbracht werden.

Nun ging man zwar nicht ganz so weit wie der Religionsstifter, der aus Wasser Wein machte. Und das „Wort“ bleibt erst mal rein christlich, auch wenn man sich bei den Kirchen verbal für andere Religionen aufgeschlossen zeigt (allerdings nicht gerade am Samstagabend). Einiges hat sich aber getan: Die Zahl der Sprecherinnen und Sprecher wurde von 16 nach kompliziertem Proporz Ausgewählten auf sieben geistliche Medienprofis verringert: drei Pfarrerinnen bei den Evangelischen und bei den Katholiken zwei „weltliche Gefäße“ (Frauen) und zwei „geistliche Gefäße“ (Priester). Vier von ihnen sind unter 40. Daß es bei den Katholiken mehr sind, war ein Mißverständnis, daß es bei den Evangelischen nur Frauen sind, ein Zufall. Das Gerücht, es sei nach äußerlicher Attraktivität gecastet worden, dementiert Haberer lachend: „Nein, Sie werden die ja sehen!“ Vorrangig sei theologische Kompetenz gewesen, und daß Pfarrerin Mechthild Werner früher als Modell gearbeitet hat, habe sie nicht gewußt. Kein Zufall ist es hingegen, daß Werner Erfahrung als Moderatorin hat, so wie auch die meisten anderen über journalistische Erfahrung verfügen.

Künftig ist jeder Fernsehpfarrer drei Wochen hintereinander dran. Damit sie sich so besser an ihre Rolle gewöhnen, heißt es. Außerdem ist das gut für den Wiedererkennungswert. Die Minipredigten sollen auch nicht mehr ausschließlich kanzelmäßig verkündigt werden, auch Bildeinblendungen oder kurze Filmsequenzen sind möglich. Gegebenenfalls kann auch mal vor Ort gedreht werden.

In den letzten Jahren war in dieser Richtung schon „herumexperimentiert“ worden, aber eher unkoordiniert, wie Haberer sagt: „Plötzlich standen die dann auf dem Friedhof“. Um solchen Auswüchsen vorzubeugen, gibt es künftig ein ökumenisches Koordinationsteam. Damit nicht genug: Die Studiowände wurden in „ARD-Blau“ gestrichen, und es gibt eine Erkennungsmelodie, Vor- und Abspann werden statt aus starren Tefeln nun aus „bewegter Schrift“ bestehen. Und – das „Wort“ geht online: Unter www.das-erste.de/wort können die Zuschauer Manuskripte anfordern, ihr eigenes „Wort zum Sonntag“ schreiben oder am Kirchenquiz teilnehmen.

Sebastian Engelbrecht, Rundfunkreferent des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik, ist das alles nicht genug. Er hatte den „Entscheidungsfindungsprozeß“ beratend und koordinierend begleitet und unter anderen die Produktionsfirma von Friedrich Küppersbusch mit einem „Probewort“ beauftragt. Heraus kam dabei ein „Videoclip der Katastrophen“, zu dem Pfarrer Hartmut Thumser von der Punk-Band „Die groben Popen“ die Frage nach der Allmacht Gottes stellte. Den katholischen Herren ging das „entschieden zu weit“. Gerd Höft, ehemals evangelischer Rundfunkbeauftragter beim WDR, war schon die Reduzierung des Sprecherteams zuviel gewesen, weil dieses Konzept „Prominente“ schaffen würde, ganz zu schweigen von der Spiegel-Forderung, Jürgen Fliege zu berufen. Oder Stänkerfritze Eugen Drewermann und Laienprediger Peter Hahne. Höft bestand darauf, daß es ein „Wort der Kirche“ bleiben müsse. Und trat zurück. Wenn's um Fernsehen geht, gibt es immer sehr schnell Zoff bei der Kirche.

Engelbrechts Idee der „Verkündigung durch Verfremdung“, Worte und Bilder kontrastierend nebeneinanderzustellen, ist vorerst ad acta gelegt. Reinhold Jacobi von der Deutschen Bischofskonferenz hingegen ist mit der „zarten Dynamik“ zufrieden, alles sei „gefälliger und quickiger“ geworden. 44 Jahre hat man also gebraucht bis zur Reform und dann noch länger als eins, bis man sie umsetzte. Aber am Ende waren die meisten selig damit. Und es war gut so.