"Das ist ein Quantensprung"

■ Mit einer Pilotanlage für Bioabfälle entsteht im niedersächsischen Landkreis Rotenburg eine regionale Kreislaufwirtschaft. Auch Speiseabfälle der Expo 2000 will man hier dereinst verarbeiten. Problem sind Billi

Deutlich sichtbar bei den eisigen Außentemperaturen schwebt die Dampfwolke über dem Haufen mit geschreddertem Holz. Über diese ,Rauchzeichen‘ freut sich Uwe Meyer auf seinem morgendlichen Kontrollgang: „Das ist ein gutes Zeichen, denn wenn unser Biofilter intakt ist, läuft auch die gesamte Anlage rund.“ Meyer ist Betriebsleiter der Bioabfallverwertungs- und -vergärungsanlage im niedersächsischen Rhadereistedt (Landkreis Rotenburg/Wümme). In der Anlieferungshalle liegen noch einige Tonnen Biomüll, und nicht weit davon entfernt Säcke mit Maispulver: „Das sind Fehlchargen, die wir mit unserer Anlage locker verarbeiten können“, erklärt Meyer. Locker verarbeiten kann die Anlage bis zu 20.000 Tonnen pro Jahr. Die Hälfte davon sollen die braunen Tonnen des Landkreises liefern, von denen aber erst einige hundert stehen. Weitere 10.000 Tonnen sind sowohl für die in den beiden benachbarten Brennereien anfallende Kartoffelschlempe als auch Bioabfälle aus der Lebensmittelindustrie vorgesehen. Seit Sommer vergangenen Jahres wird in der Anlage dieses biogene Gemisch von Störstoffen befreit und verflüssigt.

Das flüssige Bio-Mischsubstrat – drei Viertel Schlempe, ein Viertel übrige Reststoffe – macht für den Diplom-Ingenieur Christoph Martens aus Rockstedt, der die Aufbereitungsanlage zusammen mit der Firma TBW aus Frankfurt geplant hat, den eigentlichen Reiz aus: „Die zentrale Aufbereitungsanlage für kommunale und industrielle Abfälle, von denen die Schlempe bereits mit der nötigen Gärtemperatur angeliefert wird, ist nur ein Teil unseres Bioabfallkonzeptes, denn die anschließende Verwertung des Mischsubstrates soll dezentral in einer Vielzahl von Hofbiogas-Anlagen erfolgen.“ Dies erhöht die Wirtschaftlichkeit der kleinen Hof-Kraftwerke. Insgesamt ergibt sich so eine regionale Kreislaufwirtschaft, die diesen Namen auch verdiene.

Nicht nur dieser Ansatz ist Hans-Heinrich Ehlen wichtig: „Bei diesem Projekt bleibt alles in bäuerlicher Hand“, betont der CDU- Landtagsabgeordnete. Hinter der Rotenburger Rohstoff- und Energie GmbH & Co. (RoRoEnergie), die die Anlage in Rhadereistedt betreibt, stehen sieben Brennereien, die wiederum rund 200 Landwirte als Gesellschafter vertreten, sowie die Bäuerliche Dienstleistungs- und Biogasanlagen GbRmbH, zu der sich im Elbe- Weser-Dreieck etwa 60 Biogas- Bauern zusammengeschlossen haben. Für Ehlen stärkt dieses Rotenburger Konzept nicht nur die mittelständischen Strukturen im ländlichen Raum, „sondern fördert konsequent den Biogas-Einsatz in der Landwirtschaft, ohne daß Mehrkosten für den Bürger entstehen“. Denn das Rotenburger Konzept bringt Produktion und Nutzung von Abfallstoffen, selbsterzeugtem Strom und Wärme aus der Kommune, der Landwirtschaft und auch der Zuckerindustrie in einen Kreislauf, und die Landwirte sind erstmals für Qualität und Absatz des Gärkompostes aus den Abfällen ihrer eigenen Region zuständig.

Der quirlige Ehlen, der nebenbei auch Geschäftsführer der Bäuerlichen Dienstleistungs- und Verwertungsgesellschaft mbH im benachbarten Zeven ist, will aus der Pilotanlage in Rhadereistedt ein über die Kreisgrenzen hinaus beachtetes Projekt machen. „Mir schwebt vor, daß wir hier all die Speiseabfälle verwerten, die während der Weltausstellunng Expo 2000 anfallen.“ Das würde nicht nur den Bekanntheitsgrad des Rotenburger Konzeptes steigern, sondern auch den Durchsatz in der Anlage und damit auch die Wirtschaftlichkeit. Noch arbeitet die rund fünf Millionen Mark teure Technik, von deren Investitionskosten die Deutsche Bundesstiftung Umwelt fast zwei Millionen Mark übernahm, nicht an ihrer Kapazitätsgrenze. Für Heinrich Köhnken, einen der beiden ehrenamtlichen RoRoEnergie-Geschäftsführer, sind „rote Zahlen im ersten Jahr deshalb programmiert, denn die saubere Aufbereitung bei uns hat ihren Preis“. Das ist der entscheidende Punkt: Zu schaffen machen der bäuerlichen Initiative die sinkenden Preise bei der Bioabfallverwertung. Lagen sie Anfang der 90er Jahre noch zwischen 250 bis 300 Mark pro Tonne, so haben sie sich momentan mehr als halbiert. Und nicht nur das: „In den neuen Bundesländern ist die Verwertung oftmals schon für 35 Mark zu haben“, ärgert sich Köhnken. Frischer Biotonnen-Abfall wird deshalb Hunderte Kilometer – auch aus dem Elbe-Weser-Dreieck – durch die Republik gekarrt. Mengen, die in Rhadereistedt derzeit fehlen. Die Dumpingpreise sind nur möglich, weil auf eine vorschriftsmäßige Aufbereitung verzichtet wird. „Pflugscharen-Kompostierung“ nennt es Köhnken – ohne Behandlung rauf auf den Acker: „Dann wundert man sich, daß Wildschweine das Zeug fressen und so den Schweinepesterreger übertragen.“ Da Gewerbeaufsichtsämter und Veterinärbehörden mittlerweile auf diese unhaltbare Praxis aufmerksam geworden sind, geht der pensionierte Landwirt Köhnken davon aus, „daß die Zeit für uns spielt“. Nicht nur darauf setzt Planer Christoph Martens: „Selbst wenn uns der Bioabfall aus den Rotenburger Tonnen fehlen sollte, ist die Anlage so ausgelegt, daß wir auch andere organische Reststoffe verarbeiten können.“ Eben die von Hans-Heinrich Ehlen ins Spiel gebrachten Speiseabfälle. Die bislang anfallende ,Biosuppe‘ nutzt die RoRoEnergie GmbH für die anlageninterne Biogasanlage. Eine Tonne Bioabfall läßt dabei rund 150 Kubikmeter (cbm) Gas entstehen. Das in dem 900 cbm fassenden Fermenter entstehende Methangas nutzen die beiden Blockheizkraftwerke (jeweils 90 Kilowatt) zur Produktion von Strom und Wärme.

Nicht nur in Rhadereistedt sind die Initiatoren für das Jahr 1999 optimistisch. Auch Hartlieb Euler, Chef des Planungsbüros TBW und Obmann des Fachausschusses Vergärung des Arbeitskreises zur Nutzbarmachung von Siedlungsabfällen, ist überzeugt davon, daß das Rotenburger Konzept noch von sich reden machen wird: „Technisch und von der Kostenseite betrachtet ist das hier entwickelte biocomp-Verfahren ein Quantensprung – und zudem vielseitig und flexibel einsetzbar.“ Ralf Köpke