Basisstimmung: diffus

Hessen vor der Wahl, und in der Landes-SPD geht die Angst um. Sie weiß nicht, ob die Doppelpaß-Frage ihre Wähler vergrault  ■ Von Heide Platen

Frankfurt (taz) – Der rote Ibis kommt aus wärmeren Gefilden. Das Patentier der SPD-Ortsgruppe Ostend sitzt im geheizten Vogelhaus hinter der Zoomauer. Davor friert die Frankfurter Parteibasis und ist irritiert. Landtagskandidat Michael Paris? Nein, der war mit seiner mobilen Crêpe- Bäckerei schon gestern vor dem Haupteingang des Zoos. Falsche Auskunft des Wahlkampfbüros.

Ein Stück weiter, an der Rhönstraße, steht statt des von der Lokalzeitung angekündigten SPD- Standes die CDU und sammelt Unterschriften. Die SPDler drücken sich einen Steinwurf entfernt zwischen Alleenring und U-Bahn- Station an die Bordsteinkante: „Paris? Schwirrt irgendwo rum.“

Ortsvorstandsvorsitzender Rüdiger Schlager verteilt Stofftaschen und Lutscher und sammelt auch Unterschriften – gegen die Unterschriftenaktion der CDU. Ab und zu geht er bei der Konkurrenz gucken und vergleicht Gedrängel bei der CDU, verhaltenes Interesse bei der SPD. Im Stadtteil der kleinen Leute, der Witwen und Senioren steht es am Ende 80 zu 200 Stimmen für und gegen die doppelte Staatsbürgerschaft.

Daß sich die Parteibasis nur schwer mobilisieren läßt, ahnt auch Hessens sozialdemokratischer Ministerpräsident Hans Eichel. Die Landesregierung schaltete in dieser Woche Anzeigen, in denen sie das Wahlvolk zur Wahrnehmung seines demokratischen Wahlrechtes mahnt, als sei es eine Pflicht.

Michael Paris hat es schwer im Wahlkreis 35, zu dem auch die Grünen-Hochburgen Nordend und Bornheim gehören. Er saust per U-Bahn durch die Stadtteile, plakatiert selbst und geht in die Wirtshäuser. Nur 820 Stimmen trennten ihn bei der letzten Landtagswahl 1995 vom CDU-Sieger. Die Info-Stände überläßt Paris diesmal den wenigen wahlkämpfenden Parteisoldaten. Auch Saalveranstaltungen macht er nicht mehr, denn da, sagt er, „läuft nichts“.

Wohl wahr. Nicht einmal die Parteiprominenz aus Bonn füllt die Säle der SPD. Da hat der Wiesbadener Fraktionsvorsitzende Armin Clauss einen schweren Stand. Frustriert blickt er sich im leeren Bürgerhaus Bockenheim um. 20.15 Uhr, über „Hessen – innovativ und gerecht“ wollte er reden, kaum einer ist gekommen. 30 Menschen, einschließlich des Ortsvorstandes, füllen die Stuhlreihen kaum. Dabei ist, versichert eine Funktionärin, per Postwurf flächendeckend eingeladen und plakatiert worden.

Clauss ist ein alter Hase, Politprofi und sozialdemokratisches Urgestein. Daß die SPD keinen Koalitionswahlkampf mache, sondern für eine eigene Mehrheit werbe, das sagt er gerne zuerst. Und redet, the show must go on, eine Stunde lang frei und ohne Punkt und Komma. Der Unterschriftenaktion der CDU kann auch Clauss sich nicht entziehen. Er findet sie „widerlich“ und hofft, daß sie der Union mehr schaden werde als der SPD.

Daß die SPD in Hessen zwischen Baum und Borke sitzenbleiben könnte, ahnte der mächtige, linkssozialdemokratische Bezirksverband Hessen Süd, nachdem Umfragen auch in der eigenen Klientel eine große Mehrheit gegen die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft ausgemacht hatten. Bezirksvorsitzende Heidemarie Wiezcorek-Zeul geißelte zwar wie alle ihre Genossen unermüdlich die CDU. Zusätzlich aber ließ der Verband 120.000 Flugblätter drucken, in denen die Änderung des Bonner Staatsbürgerschaftsrechts erläutert wird. Pressesprecherin Christine Mühlbach: „Wir setzen auf Aufklärung.“ Armin Clauss wurde im Endspurt direkter. Er bat die WählerInnen gestern in einer Presseerklärung, Hessen nicht für „handwerkliche Anfangsfehler der Bonner Koalition“ abzustrafen.

Am SPD-Stand im Ostend haben Rüdiger Schlager und seine Helfer Samstag mittag pünktlich auf die Minute zusammengepackt: „Das lohnt nicht mehr.“ Nur 80 Unterschriften hat er gesammelt. Schlager ist irritiert. Viel mehr „Anmache“ habe er zum Thema Staatsbürgerschaft erwartet, auch von den eigenen Wählern. „Die Stimmung ist so diffus“, sagt er. „Das finde ich bedrohlich.“