Galliges Flügelschlagen

■ Mächtiger Knatsch in der GAL um Sprecherposten. Linke Kandidatin ist heftig umstritten, Realos drohen mit Gegenkandidatur. Ein Streitgespräch

In Hamburgs Grün-Alternativer Liste kracht es. Auslöser ist die Neuwahl einer Landesvorstandssprecherin am 27. Februar. Gesucht wird eine Nachfolgerin für die linke Integrationsfigur Antje Radcke, die im Dezember an die Spitze der Bundesgrünen aufstieg.

Die Parteilinke nominierte vorigen Sonntag ihre Kandidatin Kordula Leites (taz berichtete), der Realo-Flügel sucht nach einer Gegenkandidatin. Er wirft den Linken Gemauschel und Kaderpolitik vor und fordert innerparteiliche Demokratie ein. Der linke Flügel befürchtet, die Realos wollten die Machtbalance in der Partei aufbrechen und beide Chef-Posten besetzen. Mit Peter Schaar stellen sie bereits einen Vorstandssprecher. Strömungsunabhängige Gruppierungen wie die Grüne Jugend fühlen sich von beiden unterdrückt.

Die taz hamburg lud Realo Kurt Edler, den Bürgerschaftsabgeordneten Norbert Hackbusch vom linken Flügel und Rachel Jacobsohn von der Grünen Jugend zum Streitgespräch über Personen, Posten und Proporz.

taz: Herr Hackbusch, sind Sie einer der linken Drahtzieher, die hinter verschlossenen Türen nach Kaderprinzipien eine Kandidatin als Landesvorstandssprecherin der GAL auskungeln und diese der Basis mit den Worten „Nun wählt man schön“ präsentieren?

Norbert Hackbusch: So verschlossen waren die Türen nicht, das haben ja alle in der GAL mitbekommen. Es ist doch normal, daß Leute, die eventuell kandidieren würden, sich mit denen besprechen, die in der Partei schon viele Erfahrungen hinter sich haben. Da spricht man darüber, welche Chancen und Akzeptanz jemand wohl hat, welche Qualifikationen, ob das persönlich der richtige Schritt ist und so weiter. Das ist eher ein Coaching, eine Beratung für Kandidaten als über Kandidaten.

Zweitens geht es ja darum, bei der Besetzung der Sprecherposten die Pluralität der GAL widerzuspiegeln. Und die besteht nun mal aus zwei Flügeln, Realos und Linke, die fast schon zwei verschiedene Parteien sind.

taz: Herr Edler, sind Sie der Hardcore-Realo, der eher zufällig mit Norbert Hackbusch in derselben Partei ist?

Kurt Edler: So scharf ist dieser Gegensatz doch gar nicht. Natürlich gibt es in jeder Partei Flügel und Cliquen und Freundeskreise. Aber auch du, Hacki, bist doch schon längst kein Fundi mehr, du hast dich doch auch zum Pragmatiker entwickelt.

Ich bin viel grundsätzlicher der Ansicht, daß wir den Mut haben müssen, die Frage der innerparteilichen Demokratie zu thematisieren. Wenn zwei starke Flügel ihre Terrains abstecken, mag das ja zu einer stabilen Machtbalance in der Partei führen. Aber es führt auch zu einer Erstarrung von Machtstrukturen.

taz: Frau Jacobsohn, sind Sie die typische Nachwuchs-Grüne, die gelangweilt oder genervt ist bei diesem Streit zweier Herren aus der Generation Ihrer Eltern?

Rachel Jacobsohn: Eher genervt, und das liegt daran, daß diese Flügel feste Seilschaften von Senioren sind, in die neue und vor allem junge Parteimitglieder gar nicht reinkommen. Wer aber draußen steht, hat nichts zu melden.

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taz: Diese Flügel sind doch keine monolithischen Blöcke, da gibt es reichlich Untergruppen. Und es gibt Gruppierungen der Frauen, der Jugend, der MigrantInnen, die sich als flügelunabhängig verstehen. Was unterscheidet die GAL von einer Interessengemeinschaft aus Intimfeinden zur Erlangung von Bürgerschaftsmandaten?

Jacobsohn: So schlimm ist es noch nicht.

Edler: Das war schon mal schlimmer, ich erinnere nur an die Flügelkämpfe der 80er Jahre zwischen Fundis und Realos. Es gibt keine Feindschaften, aber es gibt auch keinen Konsens darüber, daß die GAL nach innen und nach außen offener und demokratischer sein sollte. Wenn drei oder vier Linke in einem ultrazentralistischen Manöver eine Kandidatin ausgucken, als ob der Vorstandssitz ihr Privateigentum sei, dann ist das nicht sehr demokratisch.

Hackbusch: Das stimmt doch gar nicht...

Jacobsohn: Aber natürlich...

Hackbusch: Du bist doch das beste Beispiel, Rachel. Du sitzt als Flügelunabhängige für die Grüne Jugend im Landesvorstand...

Jacobsohn: Was glaubst Du, wie ich dafür kämpfen mußte!

Hackbusch: Die Behauptung, die Flügel würden die GAL dominieren, ist doch ein Irrtum. Ich wüßte nicht, was und wo und wie...

Jacobsohn: Zum Beispiel die Landesvorstandssprecher.

Hackbusch: Das ist eine sehr profilierte Position, da müssen wir doch gucken, wer könnte die Integrationskraft haben und Akzeptanz in der ganzen Partei. Man muß doch keine Schaukämpfe veranstalten auf Mitgliederversammlungen, da würden Personen auch beschädigt werden.

Edler: Die GAL-Basis ist, davon bin ich überzeugt, intelligent genug, um aus mehreren Kandidaten den oder die Beste auszuwählen. Was die Linken aber da veranstalten, ist eine Beschränkung des freien Wahlrechts.

Hackbusch: Es gibt doch ständig Wahlmöglichkeiten und auch Kampfkandidaturen. Ich denke nur an die Aufstellung der Liste für die Bürgerschaftswahl vor knapp zwei Jahren. Das Problem der GAL ist doch eher, daß zuwenige wirklich aktiv sind und sich einmischen...

Jacobsohn: Weil vor allem Neue nicht da abgeholt werden, wo sie stehen, und nicht wirklich integriert werden. Es sind eher die Realos, die auf neue und junge Leute zugehen. Deine Linken, Hacki, machen das nie.

Hackbusch: Wir sind auch keine organisierte Gruppe, anders als Kurts Realo-Kader...

Edler: Von Kaderpolitik würde ich eher bei Euch sprechen...

Hackbusch: Schon gut. Ich gebe Dir ja recht, Rachel, daß es schwierig ist, von jetzt auf gleich eine wichtige Rolle zu spielen. Die muß man sich erkämpfen, auf Orts- und Bezirksebene läuft das auch ganz gut. Hier geht es aber darum, eine Position als Sprecher des Landesvorstands zu besetzen, und, das finde ich jetzt viel interessanter, es geht um inhaltliche Positionierungen. Zum Beispiel um die Frage, wie das Verhältnis der GAL zur Regierungsbeteiligung ist? Einige Leute meinen, so wie Kurt, man dürfe an Rot-Grün keine Kritik üben; andere, so wie ich, haben zu dieser Koalition ein eher kritisches Verhältnis. Mich interessieren Koalitionen nur so weit, wie ich inhaltliche Positionen der Grünen auch durchsetzen kann.

Edler: Ich habe keineswegs ein unkritisches Verhältnis zu Rot-Grün. Wir sollten uns doch aber fragen, was die GAL daran hindert, sich weiterzuentwickeln? Und warum regt es niemanden auf, daß zwei Beisitzerposten im Landesvorstand seit einem Jahr unbesetzt sind? Zwei Frauensitze. Das ist doch ein Indiz für eine Krisensituation: Quoten und Proporze führen offenbar nicht zu einer Aufbruchstimmung, sondern sind eher ein Hindernis für Engagement.

Hackbusch: Ich denke schon, daß Quoten eher Möglichkeiten eröffnen...

Jacobsohn: Die Frauenquote zum Beispiel ist doch kein Selbstzweck. Eine Quote muß allgemein unterstützt werden. Es ist ja immer noch so, daß Männer es in dieser Partei viel leichter haben als Frauen.

Hackbusch: Da hast Du recht. Die Quote ist eher ein Schutzmechanismus. Aber auch ein grünes Erfolgsmodell, das andere Parteien nachgeahmt haben.

Edler: Und es gibt auch die Flügelquote mit zwei Vorstandssprechern, die aufeinander aufpassen sollen.

Hackbusch: Man muß als Linker in dieser Partei ja auch aufpassen, daß man noch zu Wort kommt und inhaltliche Positionen vertreten darf...

Edler: Der Punkt ist doch ein anderer. Beide Flügel in der GAL sind, das ist meine These, in einer Krise, weil ihre Personalreserven erschöpft sind. Und deshalb gibt es auch, auf beiden Seiten, Verlegenheitskandidaten. Das kannst Du doch nicht leugnen...

Hackbusch: Wer jetzt in die GAL kommt, hat sehr schnell die Möglichkeit, auch herausgehobene Positionen zu besetzen. Wer erst drei Jahre oder so in der Partei ist, darf doch nicht als Verlegenheitslösung diskreditiert werden...

Jacobsohn: Diese Möglichkeit haben aber nur die, die sich ganz schnell die richtigen Freunde suchen. Wer sich nicht an einen Parteipromi dranhängt, von welchem Flügel auch immer, bekommt kein Bein auf den Boden.

Edler: Ich finde durchaus, daß wir alle viel zu viel um Bürgerschaft und Senat kreisen. Vieles von dem, was angeblich fürchterlich wichtig ist, landet schließlich im Parlamentsarchiv. Das Absurde ist, daß gerade die GAL-Linke so senatsfixiert ist, daß sie die Parteientwicklung vergißt. Sie sollte lieber mal darüber nachdenken, wie sie die Partei für neue Mitglieder öffnen und durchlässig machen kann.

Sonst bleibt es auch bei dieser Langeweile auf unseren Mitgliederversammlungen, wo sich 50 oder auch mal 120 Leute hinquälen. Dies und das ganze Quotenmodell führt dazu, daß eine GAL mit einem Politikverständnis, das sich in Tagesordnungen und Drucksachen erschöpft, nicht sonderlich attraktiv ist.

taz: Die GAL hat seit Bildung der rot-grünen Koalition in Hamburg im Herbst 1997 einen deutlichen Mitgliederzuwachs zu verzeichnen, von etwa 1400 auf gut 1600. Warum sind die wohl eingetreten?

Jacobsohn: Das frage ich mich auch...

Edler: Gute Frage...

Hackbusch: Da hat Kurt mal recht...

Jacobsohn: Auf den Neuentreffen, die ja angeboten werden, werden diese Leute aber kaum miteinbezogen. Ich kenne viele jüngere, weil die dann eben zur Grünen Jugend kommen, die erzählen, daß sie schon monatelang irgendwo rumschwimmen, und niemand sie so richtig bemerkt.

taz: Da gäbe es doch für alle Strömungen ein paar Seelen zu fischen. Warum wird das nicht gemacht?

Hackbusch: Wir führen keine Mitgliederlisten. Aber es ist richtig, daß in früheren Zeiten die Kontakte gerade auf Stadtteilebene viel intensiver waren. Es wird versucht, wieder welche aufzubauen, und ein paar funktionieren auch schon ganz gut. In dem Punkt liegt wirklich viel im Argen, aber da müssen sich alle angesprochen fühlen.

Edler: Die zentrale Frage ist aber, wie Partei-Untereinheiten Einfluß nehmen können auf politische Entscheidungen? Wenn das folgenlos bleibt, was dort beredet oder beschlossen wird, dann demotiviert das. Wir haben in der GAL Entscheidungsfindungsprozesse, die Durchlässigkeit behindern. Zum Beispiel das Auskungeln von Kandidaten für hervorgehobene Positionen. Gerade deshalb führen wir doch jetzt diese Debatte.

Hackbusch: Dieser Eindruck ist falsch.

Jacobsohn: Der ist richtig.

Hackbusch: Nein.

Edler: Da haben wir einen klaren Dissens.

Hackbusch: Wir Linken haben niemanden gesagt: „Du darfst nicht kandidieren“. Wir haben nach verschiedenen Diskussionen lediglich gesagt: „Kordula ist aus unserer Sicht am geeignetsten und hat unsere Unterstützung“. Das ist doch auch hilfreich für andere, um sie davor zu schützen, bei der Wahl auf der Mitgliederversammlung durchzufallen.

Edler: Aber es ist doch undemokratisch, weil es die Wahlmöglichkeiten der Mitglieder einschränkt.

Jacobsohn: Man kann doch auch Vorstellungsrunden und Kandidatenbefragungen in der Partei machen.

Hackbusch: Darum geht es doch gar nicht. Mir scheint, wir müssen eher darüber diskutieren, ob der zweite Vorstandssprecherposten von einer Linken besetzt werden darf oder nicht, um die inhaltlich-politische Pluralität der Partei wiederzuspiegeln. Den anderen haben ja schon die Realos besetzt. Wenn die jetzt beide Posten wollen, ist das doch der Dissens.

taz: Dann bringen wir den mal auf den Punkt: Wird es eine Gegenkandidatin zu der von den Linken nominierten Kordula Leites geben?

Jacobsohn: Ich denke nicht.

Edler: Es gibt darüber bei den Realos noch keine abgeschlossene Meinungsbildung.

Hackbusch: Keine Ahnung.

taz: Wenn die neue Landesvorstandssprecherin – wegen einer zweiten Kandidatin oder wegen vieler Nein-Stimmen und Enthaltungen – nur mit knapper Mehrheit gewählt werden sollte, wäre sie dann eine schwache Parteichefin?

Hackbusch: Nein.

Edler: Ich hätte eher Angst vor volkskammerähnlichen Ergebnissen. 52 Prozent würden mich weniger stören als 98 Prozent.

Jacobsohn: Wer gewählt wurde, wird auch unterstützt werden. Das macht man einfach so.

Moderation: Sven-Michael Veit