Schillen auf "hartem Gegenkurs"

■ Die grüne Abgeordnete Ida Schillen, die als Vorstandssprecherin kandidiert, kritisiert den Privatisierungskurs der SPD und schließt für eine soziale Politik eine höhere Verschuldung nicht aus

taz: Frau Schillen, Sie kandidieren bei der Landesdelegiertenkonferenz am 19. und 20. Februar als Vorstandssprecherin der Grünen. Als Wahlkampfziel haben Sie 15 Prozent plus x genannt. Wie soll das ehrgeizige Ziel erreicht werden?

Ida Schillen: Wir müssen uns ein Ziel setzen, das über die 13,2 Prozent des letzten Wahlergebnisses hinausgeht. Wir können das erreichen, wenn wir dezidiert auf grüne Politik setzen. Wir müssen glaubwürdig darlegen, daß wir in einer rot-grünen Regierung der Motor für eine Reformpolitik sind. Wir müssen einen eindeutig grünen Wahlkampf führen, der sich von der menschenverachtenden Politik der CDU, aber auch vom Schlingerkurs der SPD absetzt. Auf der anderen Seite müssen wir uns auch von der PDS abgrenzen, insbesondere was deren schwache Ökologiepolitik betrifft.

Ich setze vor allem auf Wählerstimmen von Frauen. Die Grünen werden mit einem weiblich dominierten Führungsteam antreten. Dem Männerteam von SPD-Spitzenkandidat Walter Momper setzen wir kompetente Frauen entgegen. Diesen Vorzug müssen wir ausbauen.

Sie haben in Ihrer Bewerbung für die Landesdelegiertenkonferenz scharfe Kritik am Wunschkoalitionspartner SPD geübt. Deren Privatisierungskurs zerstöre „unwiderruflich die Grundlage für eine ökologische und soziale Stadtpolitik“. Die SPD sei „tief verstrickt in die gemeinsame Mißwirtschaft mit der CDU“. Muß sich die SPD auf einen konfrontativen Stil der Grünen einstellen?

Die SPD wird sich darauf einstellen müssen, daß die Grünen diese Verramschungspolitik nicht weiter mitmachen. Die Politik der Privatisierung von Landesvermögen ist gescheitert. Das hat den Haushalt nur vorübergehend entlastet. Gleichzeitig sind unglaublich teure Projekte begonnen worden, die langfristig Gelder binden. Die Zahlungsverpflichtungen werden im nächsten Jahrtausend fällig und werden der nächsten Regierung auf die Füße fallen. Diese Politik hat die SPD mitbetrieben. Die SPD wird sich auf einen harten Gegenkurs von seiten der Grünen einstellen müssen, auch was den Liegenschaftsfonds angeht, in dem Grundstücke im Milliardenwert zum Verkauf angeboten werden.

Bislang haben die Grünen die Haushaltskonsolidierung mitgetragen. Plädieren Sie für einen Kurswechsel?

Ich halte eine Stadtpolitik der Grünen, die die Sparpolitik an die erste Stelle setzt, für falsch und unrealistisch. Wir können nicht als Buchhalter an die Reformpolitik gehen. Wir müssen erst die inhaltlichen Ziele setzen. Das ist Konsens im Landesverband. Sozialpolitische Fragestellungen müssen an die erste Stelle rücken. Soziale und ökologische Investitionen rechnen sich stets langfristig. Sie kosten längst nicht soviel Geld wie das, was SPD und CDU mit ihren Großprojekten in den Sand gesetzt haben.

Das bedeutet allerdings eine höhere Verschuldung. Dies haben die Grünen bislang abgelehnt.

Vordringlich ist es, sinnlose Großprojekte zu stoppen und dadurch Gelder lockerzumachen. Wir brauchen eine andere Verteilung von Haushaltsmitteln. Soziale Politik und Bildung müssen im Vordergrund stehen. Das kostet Geld. Wenn eine Stadtregierung sich das nicht mehr leisten will, kann eine solche Regierung nicht unter grüner Beteiligung stattfinden. Ich schließe für die nächsten vier Jahre eine höhere Nettoneuverschuldung nicht aus, mache dies aber von den politischen Zielvorstellungen abhängig.

Als exponierte Linke gehören Sie dem Minderheitenflügel der Grünen an. Als Vorstandssprecherin müssen Sie die Position der Gesamtpartei vertreten. Ist da nicht ein Konflikt angelegt?

Ich vertrete urgrüne Positionen. Es ist für mich selbstverständlich, daß ich als Sprecherin die gesamte Partei vertrete. Ich kenne die Partei lange genug, um sie in ihrer Gesamtheit zu vertreten.

Sie gelten in der Fraktion als Einzelkämpferin. Wie wollen Sie im Vorstand Teamarbeit leisten?

Ich gelte als Politikerin, die klare Positionen bezieht. Ich werde den Vorstand als arbeitsfähiges Team stärken, gerade durch meine Bereitschaft, offen und ehrlich Konflikte anzusprechen. Politik ist immer die Organisation der Verschiedenen. Ich möchte die politischen Diskussionen zwischen den verschiedenen Positionen wieder stärker organisieren. Es ist immer Stärke grüner Politik gewesen, daß wir eine politische Streitkultur pflegen, Konflikte austragen und zu fairen Kompromissen kommen.

Falls es nach der Wahl keine Mehrheit für ein rot-grünes Bündnis gäbe, würden Sie sich dann für eine Tolerierung durch die PDS aussprechen oder die Fortsetzung der Großen Koalition hinnehmen?

Mein Votum wird maßgeblich davon abhängen, wie im Herbst die Stimmung in der Bevölkerung und bei den Grünen ist. Ich kann mir eine Tolerierung durch die PDS vorstellen. Ich kann mir aber auch vorstellen, wieder in die Opposition zu gehen. Interview: Dorothee Winden