Kommentar
: Kaiserwetter

■ Naumann will einen Platz an der Sonne für die Berlinale

Fast hätten wir das Wort schon vergessen gehabt. „Hauptstädtischer“ müßten die Berliner Filmfestspiele werden, verriet der frischgebackene Staatsminister Michael Naumann ausgerechnet einem Münchner Magazin.

Erinnern wir uns: In den sechs Jahren zwischen dem Bonner Umzugsbeschluß 1991 und der jüngsten Bundestagswahl, seit der die Ankunft der Möbelwagen in den Horizont realer Erwartung gerückt ist, war die pubertierende Hauptstadt bisweilen heftig auf der Suche nach ihrer neuen Identität. Olympische Spiele mußten her, ein Großflughafen, eine Magnetschwebebahn – das alles forcierten die Lokalpolitiker in dem Glauben, nur so ließe sich aus den beiden früheren Halbstädten im märkischen Sand eine „Metropole“ schmieden. Nicht weniger provinziell war freilich der Irrglaube der Berliner Hauptstadtmuffel, ein paar zugereiste Bürokraten würden eine Millionenstadt flugs dem Diktat des Yuppietums unterwerfen.

Doch längst haben die beiden Fraktionen das Kriegsbeil begraben, denn aus der Perspektive vor Ort haben Metropolen- wie Untergangsszenarien jeden Realitätsbezug verloren. 61 Prozent der Bundesbürger halten Berlin nicht für eine „Metropole“ – na und? Selber schuld, wenn sie damit ein Problem haben. In Berlin selbst haben sogar die Imagewerber inzwischen begriffen, daß sie mit den Widersprüchen der Stadt leben müssen.

In Bonn hingegen treibt die rot- grüne Lust an der neuen, „richtigen“ Hauptstadt inzwischen skurrile Blüten. Kanzler Schröder, die Zigarre in der Hand und den Wunsch nach dem Stadtschloß auf der Zunge, witzelt im Zeit-Interview schon ganz unverkrampft über seine neue Rolle als Kaiser Wilhelm III. Da ist es nur konsequent, wenn Naumann jetzt einen Platz an der Sonne der glamourösen Filmfestivals verlangt: Preußischer Winter hin oder her, die Stars sollen künftig unter Palmen wandeln – bei Kaiserwetter, versteht sich.

So richtig böse kann man unserem herrlichen jungen Kanzler und seinem Staatsminister aber gar nicht sein – schon gar nicht als Berliner. Schließlich hat die neue Hauptstadt auch ein paar Jahre gebraucht, um in ihre Rolle hineinzufinden. Ralph Bollmann