Der Gott der Skipisten

Nach seinem Abfahrtstriumph bei der WM wird Hermann Maier in Österreich zum „Unsterblichen“  ■ Aus Beaver Creek Ralf Mittmann

Der Herr Kollege aus felix Austria sieht verzweifelt aus. Von wegen Glücksrausch nach dem Maier-Gold. „Dös Rennen, dös was sensationell war, ham's eh alle g'söh'n“, sagt der Mann, „aber was kannst sunst no schreiben, was no net g'schrieben is?“ Nach zwei Fläschchen Gerstensaft kehrt endlich Ruhe ein im Gesicht des österreichischen Reporters. 227 Zeilen à 30 Anschläge wird er bald verfaßt haben über Hermann Maier, den Unglaublichen, den Unsterblichen, den Gott der Skipisten.

Der Titel des Abfahrts-Weltmeisters war in Österreich schon immer die Eintrittskarte in die nationale Ruhmeshalle. Aber jetzt der Maier, dieser Wille, mit dem er dem Druck hochgeschraubter Erwartungen widersteht und zur zweiten Goldmedaille rast, dieser Fahrstil, so aggressiv, daß er im Steilhang die Tore förmlich aufzufressen scheint, dieses Bild, wie Filmstar Arnold Schwarzenegger im Ziel gratuliert, von Terminator zu Herminator sozusagen, und sagt, endlich gebe es einen weiteren, der Österreichs Fahne in der Welt hochhält – das alles hat seinen Landsleuten das Herz übergehen lassen vor Freude.

Noch nie ist einer so spät erst, mit 25, ins Rampenlicht der Öffentlichkeit getreten. Noch nie hat einer in gerade mal anderthalb Jahren zwei Olympiasiege, einen Weltcup-Gesamtsieg und zwei Weltmeistertitel errungen. Noch nie hat einer die Massen so in Hysterie versetzt, nicht einmal der legendäre Franz Klammer. Noch nie hat einer soviel Geld bewegt, für andere und für sich selbst. Was kann es wundern, daß Maier nur noch ungläubiges Staunen bleibt, er sich die Frage stellt, „was kann eigentlich noch kommen?“, und selbst die flapsige Antwort gibt, „Priester in Flachau vielleicht“.

Hermann Maier, der unsterbliche Skifahrer mit der unglaublichen Geschichte. Die Wachstumsstörungen in der Jugend, als er mit 15 Jahren erst 1,50 Meter groß war, ganze 45 Kilogramm wog, und ihm nach dem Skifahren immer die Knie wehtaten, weil die Kippstangen „für seine Sprießlinge eine Bedrohung waren wie die Laubsäge für Pinocchio“, wie es ein Journalist mal zu Papier brachte. Oder das öde Training am ewig gleichen Hang, den ihm der Heustadelwirt in Flachau/ Winkel reserviert hatte. Oder die Tatsache, daß ihn Austrias Skitrainer jahrelang beharrlich ignorierten und er derweil als Maurer sein Brot verdiente.

Dann ist Hermann Maier doch noch Skistar und Millionär geworden. Um die 70 Millionen Schilling soll er vergangenes Jahr eingenommen haben, umgerechnet etwa zehn Millionen Mark. Um Hermann Maier als Werbeträger reißen sich Firmen aus allen Branchen. Für jeden Sieg in einem Weltcuprennen kassiert er von seinem Skiausrüster Atomic eine glatte Million Mark. Vorsichtshalber hat sich Atomic bei Lloyds gegen Maiers Erfolge versichert, seit dem vierten Weltcup-Sieg muß der Londoner Versicherer berappen. „Der Hermann wird zug'schissen mit öm Göld“, sagt der österreichische Kollege. Und immer schwieriger werde es, „den Schädel auf'm Hals zu halten“, soll heißen: ein normaler Mensch zu bleiben.

Noch gibt es genügend Anzeichen, daß der Herminator auch ein Hermann bleibt. So hält etwa Freundin Petra nach wie vor felsenfest zu ihrem „Egoisten“ und glaubt nicht, daß er „abrutscht in eine Schicki-Micki-Welt, eine hochhackige, blonde Vollbusige, das ist nicht seine Welt.“ Zu seiner Welt gehört zweifellos sein Flachauer Fanclub, für den er immer wieder gesponserte Reisen an Land zieht, vergangenen Sommer zur Fußball-WM nach Frankreich und jetzt nach Colorado.

69 Botschaften wurden Hermann Maier in den ersten vier Stunden nach seinem Triumph in den E-Mail-Briefkasten geschickt. Nummer 69, ein Gerhard Nendwich, formulierte in Abwandlung eines Spruches des US-Basketballstars Charles Barkley: „Wenn Gott Skifahren gehen möchte, verkleidet er sich als Hermann Maier.“ Hermann Maier, der Unsterbliche.