Ist dieser Sir an allem schuld?

Nach dem 0:3 gegen den Fußballzwerg USA ist der von Erich Ribbeck verwaltetete deutsche Verbandsfußball „ziemlich am Ende“. Ribbecks Problem ist das nur bedingt  ■ Von Peter Unfried

Es war einmal ein Fußballbund. Der hatte ein Produkt, das war erstklassig. Und heute? Hat er Erich Ribbeck. Der sagt: „Ich bin nicht ratlos.“ Der differenziert: „Vielleicht mache ich eine ratlosen Eindruck.“ Sagen wir mal so: Auch nicht ratloser als in München oder Leverkusen, kurz bevor er wegen Verdachts der Unfähigkeit entlassen wurde.

Das 0:3 der DFB-Kicker gegen die USA in einem vorsaisonalen Test hat Ribbeck, Branchenname „Sir Erich“, jedenfalls etwas weniger optimistisch aussehen lassen als gewöhnlich – und die Heimat damit in höchste Aufregung versetzt. Selbst Ehrenspielführer Uwe Seeler wiegte sein Haupt und brummte: „Kein Tor gegen Amerika – das halte ich für sehr bedenklich.“ Der ARD-Angestellte Günter Netzer hat zugespitzt formuliert, was Ribbeck und die Spieler treiben: „Sie geben der Öffentlichkeit die Chance, ihre Existenzberechtigung in Frage zu stellen.“

Oje!

Tatsächlich befindet sich die sich diversifizierende Branche mitten in einem harten Verteilungskampf um Sponsoren, Zuschauer und Einschaltquoten. Falls der DFB es da mit aller Gewalt darauf anlegen wollte, sein Produkt innerhalb kürzester Zeit kaputtzukriegen, er könnte es nicht besser anstellen. Allein binnen der ersten 45 Minuten verlor man am Samstag abend eine Million Fernsehzuschauer (7,07 statt 8,10). Beim ZDF darf man schon bangen, wieviel davon morgen abend gegen Kolumbien mitleiden wollen.

Die von Co-Trainer Ulrich Stielike und diversen Experten nun ins Spiel gebrachten patriotischen Defizite der Profis („Nicht gerechtfertigt, die deutschen Farben zu tragen“) führen in eine Scheindiskussion. Natürlich geht es auch um Einsatzwillen. Es geht auch um Fitneß (die den Profis an diesem Punkt der Rückrundenvorbereitung zwangsläufig fehlt). Im wesentlichen aber geht es darum: Es gibt kein Mannschaftsspiel, weil es keine Mannschaft gibt. Das DFB- Team hat keine Torchancen, weil es keinen Fußball spielt. Zusehen ist daher überflüssig.

Die statistische Bilanz des Vogts-Nachfolgers Erich Ribbeck: vier Spiele, ein Sieg. Der kam gegen Moldawien zustande, dem einzigen Gegner, dessen Mannschaftsverbund taktisch noch unbedarfter agierte. Ansonsten lief man gegen die Türkei in die Falle (0:1), wurde von den Niederländern hergespielt (1:1) und hatte gegen die USA nicht den Hauch einer (Tor-) Chance.

Was die Klasse dieses Team betrifft, so hat es zuletzt so respektable Ergebnisse eingefahren, wie ein 0:0 gegen die U23-Junioren Australiens und ein 0:0 gegen Bolivien. Immerhin hat der neue Trainer Bruce Arena den Libero abgeschafft. Daß mit Kirovski (16., vom Zweitligisten Fortuna Köln), dem Hertha-Ersatzspieler Sanneh (24.) und dem Wolfsburger Reyna (26.) drei Bundesliga-Mitläufer die Tore schossen, ist eine bittere Pointe. Während die im US-Team ihre Stärken einbringen, treten bei den isolierten DFB-Kickern bloß Defizite zutage.

Nun muß man auf keinen Fall soweit gehen, wie jene Zuschauer, die verzweifelt – womöglich auch unter dem Eindruck der Sonne Floridas – ein Plakat mit der Aufschrift „Wir wollen Berti“ ausrollten. Immerhin: Als man im Juni in Paris im WM-Vorrundenspiel das WM-untaugliche US-Team 2:0 schlug, hatte der DFB eine Mannschaft, die zu den zehn besten der Welt gehörte, läuferisch überdurchschnittlich, moralisch gefestigt und zwar rückständig, aber so solide organisiert, daß man bis zu einer gewissen Niveaustufe konkurrenzfähig war. Heute gibt zum ersten Mal seit 1954 keine Fußballer mehr, die nachrücken könnten. Sagt Franz Beckenbauer. Man habe ein zuvor nie dagewesenes „Generationenproblem“. Ob auch Ribbeck (61) darunter fällt, läßt der DFB-Vize offen.

Klar ist: Das System Vogts war ausgereizt, die einzige Chance lag im Neubeginn. Wer nicht mehr die besten Fußballer hat, kann immerhin versuchen, mit Organisation, Stil und lernwilligem neuem Personal da etwas zu kompensieren. Ribbecks Entscheidung, Lothar Matthäus zum Libero und Platzhirsch zu machen, knüpfte freilich nahtlos an dem Punkt an, an dem Vogts in Montpellier sein Ende eingeleitet hatte. Nicht, daß Matthäus beim FC Bayern einen schlechten Libero spielte. Der Witz ist: Der FC Bayern kann sich – zumindest national – den Libero Matthäus (37) leisten.

Und Kreativspieler Andreas Möller (31)? Ist ein ausgewiesenes Talent – von dem Beckenbauer gestern freundlich-zynisch sagte: „Man wartet und wartet, bis er vierzig ist.“ Die beiden, so formuliert es Ribbeck unnachahmlich, „haben natürlich nicht mehr gezeigt, als das, was wir gesehen haben“. Er hat sicher recht, wenn er sagt, „es wäre falsch, Matthäus und Möller die Alleinschuld zu geben.“ Er hat besonders recht, wenn er sagt: „Man kann sich fast als Verantwortlicher miteinbeziehen.“

Ribbeck hat die beiden geholt, aber sonst nichts getan – außer die Stimmung zu heben. Es gibt kein Team. Deshalb mußte sein Versuch, in der Halbzeit an die „deutsche Ehre“ zu appellieren, zwangsläufig verpuffen. „Wenn man das nicht mehr herauskitzeln kann als Trainer“, schlußfolgerte Experte Netzer erschüttert, „ist man ziemlich am Ende.“

Weil man es ja im Fußball hinterher immer schon vorher gewußt hat, könnte man sagen, Ribbeck ist damit genau da, wo er zwangsläufig herauskommen mußte. Besserung ist nicht zu erwarten. Eine Kurskorrektur, beharrt er, sei „im Moment nicht möglich“. Vorwerfen sollte man ihm das nur bedingt. Er hat bloß angenommen. Angeboten haben ihm den Job andere.