Schwarze Fahnen für König Hussein

In Jordanien finden spontane Trauerbekundungen für den verstorbenen Monarchen statt. Die meisten Jordanier haben nie einen anderen Herrscher erlebt. Eine verwaiste Nation schaut skeptisch in die Zukunft  ■ Aus Amman Karim El-Gawhary

Die Nachricht kommt gegen Mittag: König Hussein von Jordanien, der sein Land 46 Jahre lang regiert hat, ist tot. Sein Königreich hatte schon seit Tagen diesen Moment bange erwartet. Als das Fernsehn dazu übergeht, Suren aus dem Koran verlesen zu lassen, wissen die Menschen, daß die Stunde des Haschemitenherrschers geschlagen hat. Dreißig Minuten später folgt die offizielle Erklärung, daß der König vor einer Stunde an seinem Krebsleiden gestorben sei. Thronfolger Abdallah erscheint auf dem Bildschirm, bereits angekündigt als „Seine Majestät“.

Die letzten Tage des Todeskampfes Husseins hatten Abdallah genug Zeit gegeben, sich auf diesen Moment vorzubereiten. Der 37jährige älteste Sohn des verstorbenen Königs Hussein versucht in einer kurzen Fernsehansprache, die aufgewühlten Menschen im ganzen Land zu beruhigen: „Wir werden das Erbe des Königs beibehalten.“ An sein Volk gerichtet, erklärt er: „Ihr seid nach Gott mein wichtigster Trost.“

Das Leben der Stadt kommt langsam zum Erliegen. Überall finden sich kleinere Gruppen von Menschen schweigend vor Fernseh- und Radiogeräten zusammen, viele von ihnen brechen offen in Tränen aus. Einige Ladenbesitzer beginnen spontan, schwarze Fahnen anzubringen. Das Porträt des toten Königs wird eiligst mit Trauerflor geschmückt. An einigen Stellen werden Fotos von Abdallah an einen prominenteren Platz gehängt, der noch am späteren Nachmittag offiziell vereidigt werden sollte. Die grünweissrote jordanische Nationalflagge wird vor allen offiziellen Gebäuden und Hotels auf Halbmast gesetzt.

Bis zur letzten Sekunde vor der Todesnachricht hatte auf den Straßen der jordanischen Hauptstadt Amman das Prinzip Hoffnung geherrscht. „Bei Gott, nichts ist unmöglich“, war ein immer wieder zu hörender Satz jener, die sich Tag und Nacht vor dem Haupteingang des Krankenhauses eingefunden hatten, in dem der Monarch in den letzten Tagen, angeschlossen an Maschinen, um sein Leben kämpfte. Vor dem Krankenhaus kursierten zahlreiche Geschichten über Menschen, die, obwohl dem Tode geweiht, doch noch überlebt hatten. Etwa von einem an Aids erkrankten Saudi, der einen ganzen Monat an der heiligen Kaaba in Mekka verbracht hat und durch ein Wunder geheilt wurde, wie ein Mann an der schnell installierten mobilen Teeküche noch trostreich erzählte. „Bei Gott, nichts ist unmöglich.“

Die über vier Millionen Jordanier waren in den letzten Tagen zu medizinischen Fachleuten geworden. Die Beatmungsmaschinen, Herz, Hirn, Leber und Nierenfunktionen des Königs und die Bulletins seiner Ärzte wurden Gegenstand intensiver Debatten, seit der Königshof noch am Samstag seine Version von „klinisch tot“ zu „sehr ernsthaft erkrankt“ verändert hatte. Noch am Morgen vor der Todesnachricht herrscht in Ammans Altstadt der Schein von Normalität. Bei strömendem Regen versuchen die meisten Händler, ihre Ware vor dem alles durchdringenden Naß zu schützen. Aus den Regenrinnen platscht das Wasser auf die Passanten herunter, um sich auf den Straßen zu sammeln und dann sturzbachartig die verschiedenen Hügel Ammans herunterzuschießen. Es schien, als wolle das Wetter die Jordanier bereits auf die trübe Nachricht vorbereiten.

Ein Regenschirmhändler versucht eifrig, seine guten Stücke am Ende der Wintersaison loszuschlagen. „Wir sind nichts ohne König Hussein. Wir haben keine Rohstoffe oder Industrie. Unser Land lebt davon, wie es sich politisch verkauft, und König Hussein hat es immer teuer verkauft“, erklärt der Händler der schützenden Parapluie.

Der Geldhändler nebenan ist vorbereitet. „In den letzten zwei Tagen haben viele Jordanier zum Doller Zuflucht gesucht“, erzählt er. Die Nachricht, die noch am Samstag von den Ärzten verbreitet wurde, daß der König doch nicht klinisch tot sei, hatte dem kurz Einhalt geboten. Aber auch mit dem Tod des Königs erwartet der Geldhändler keine größeren Schwankungen zwischen dem jordanischen Dinar und dem Dollar. Die Leute hätten genug Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten.

Auf dem Gemüsemarkt in dem palästinensischen Flüchtlingslager „Al-Hussein“, unweit des Zentrums der jordanischen Hauptstadt, herrscht ebenfalls gedrückte Stimmung, auch wenn hier das Foto des Monarchen nicht, wie in vielen anderen Läden und Büros der Stadt, jede einzelne Bude schmückt. Statt dessen ziert ein Bild eines weinenden palästinensischen Kindes die Wand des Geschäfts des Gemüsehändlers Abu Adnan. „Abwarten und weitersehen“, antwortet er zunächst abweisend auf die Frage nach der Zukunft Jordaniens. Nach einer Tasse Tee weicht Abu Adnan etwas auf. „Natürlich sind wir hochgradig beunruhigt. Schau dir nur einmal unsere Nachbarn an, Israel auf der einen und Irak auf der anderen Seite“, meint er.

Und der Thronfolger Abdallah? Abu Adnan hofft, daß er den Palästinensern im Land, die die Mehrheit der jordanischen Bevölkerung ausmachen, gut gesonnen ist. „Immerhin ist er mit einer Palästinenserin verheiratet“, wirft der Gemüsehändler ein. Aber er wird es schwer haben, in die Fußstapfen seines Vater zu treten. Dann senkt er seine Stimme, als wolle er sich selbst überzeugen. „König Hussein war auch gerade einmal volljährig, als er gekrönt wurde.“ Der habe eben gelernt, wie Politik gemacht wird. „Es ist also erlernbar, und vielleicht lernt es sein Sohn Abdallah auch“, hofft er, um am Ende erneut mit dem Kopf zu schütteln. „Abdallah wird es schwer haben“, wiederholt er skeptisch.

Anders als Abu Adnan weigert sich der benachbarte Händler für allerlei Haushaltsgeräte, sich zu äußern. „Zuviel Sicherheit in zivil“, flüstert er. Ob dies eine sinnvolle Vorsichtsmaßnahme ist oder Paranoia, bleibt dem Außenstehenden unerschlossen. Der Chef des Geheimdienstes, Sami Battikhi, gilt als persönlicher Freund Abdallahs, und seine Agenten dürften überall in der Stadt ausgesandt worden sein, um einen sicheren Übergang vom alten zum neuen König zu gewährleisten.

Sicher ist, daß schon in den Tagen zuvor die Militärpatrouillen überall im Land verstärkt worden sind. Auf der Straße zum dreißig Kilometer entfernten Flughafen standen bereits in der Samstagnacht alle paar Kilometer Militärjeeps mit Soldaten in voller Kampfmontur am Straßenrand. „Sicher ist sicher“, sagt der Taxifahrer. Eine Maßnahme in einem Land, das jetzt in aller erster Linie damit kämpft, sich selbst zu beruhigen. Ein Land, das ohne seinen König Hussein fast unvorstellbar ist. Die meisten Jordanier waren zur Zeit seiner Thronbesteigung vor fast einem halben Jahrhundert noch nicht einmal geboren. „Ich kenne nichts anderes, und selbst meine Eltern können sich nicht mehr an eine Zeit ohne Hussein erinnern“, drückt einer von ihnen dieses Gefühl aus. Da scheinen die angesetzten vierzig Tage Trauerzeit kaum genug, um das Unvorstellbare langsam zu begreifen.