■ Die China-Politik der Bundesregierung ist nicht zu soft, sondern klug
: Runter vom hohen Roß der Moral

Es hatte den Anschein, als hätten sich Bundesaußenminister Joschka Fischer und der chinesische Ministerpräsident Zhu Rongji abgesprochen. Just als das Bonner Außenministerium am vergangenen Freitag durchblicken ließ, daß Deutschland in diesem Jahr China vor der UN-Menschenrechtskommission nicht verurteilen will, kündigte die chinesische Regierung den Verzicht auf den Ausbau der Atomenergienutzung an. War hier der für seine Unbeugsamkeit gefürchtete Pekinger Wirtschaftszar den Pressionen eines deutschen Öko-Politikers erlegen?

Was nicht im Ernst der Fall sein konnte, zeigte per zufälliger Koinzidenz, wie unangemessen derzeit ein harsches deutsches Urteil über die chinesische Regierungspolitik wäre. Denn so richtig und wichtig der Protest gegen anhaltende Menschenrechtsverletzungen in China heute ist und immer sein wird, so darf er doch nicht zum Ausgangspunkt für die deutsche China-Politik unter rot-grüner Ägide gemacht werden. Es gibt weit bedeutendere und zukunftsorientiertere Felder der deutsch-chinesischen Beziehungen. Nur ein Beispiel ist die Energiepolitik.

Wie sich China in Zukunft mit Energie versorgt, ist kein technisches Problem, sondern eine Menschheitsfrage. Sollte die Volksrepublik einmal mit heutigen Techniken den Pro-Kopf-Energieverbrauch westlicher Industrienationen erreichen, würde sich der Weltenergiebedarf und der weltweite CO2-Ausstoß verdoppeln. Rohstoffkriege und Klimakatastrophe wären nahezu zwangsläufige Folgen. Schon rennt die Zeit davon. Das chinesische Modernisierungstempo ist höher als das jeder anderen Industrienation zuvor. Keine vorausschauende westliche Regierung wird sich in dieser kritischen Phase aufs hohe Roß der universellen Menschenrechtslehre schwingen und den Pekinger Kommunisten die Schweißarbeit auf der Suche nach einem nachhaltigen Entwicklungsmodell überlassen.

Zumal Peking voran kommt: Die Abkehr von der Atomkraft ist eins von vielen Indizien dafür, daß die amtierende chinesische Regierung gewillt ist, aus den Fehlern des Westens zu lernen. Nur so geht es. Doch dafür braucht Zhu Rongji, der bislang aufgeklärteste Regent Chinas im 20. Jahrhundert, die tatkräftige und entschlossene Unterstützung der reichen Länder. Wer sie ihm aus moralischen oder ideologischen Gründen verweigert, unterschätzt die Kräfte des Kapitalismus, die heute in China freigesetzt werden und die zu bändigen nicht Aufgabe Pekings allein sein kann. Georg Blume