Ein Rohrbruch gilt als nicht beherrschbar

■ Neue Studie zu Sosnowi Bor: Nicht einmal die kleinsten Sicherheitsarbeiten an dem russischen Atomkraftwerk kommen voran

Stockholm (taz) – Die Reaktoren des Atomkraftwerks Sosnowi Bor bei Sankt Petersburg sind zehnmal GAU-gefährdeter als ältere westliche Atomkraftwerke. Schlimmer noch: Obwohl unumstritten ist, daß größere Invesitionen nötig wären, um ein Mindestmaß an Sicherheit zu gewährleisten, und alle Schwachstellen genau bekannt sind, kommen nicht einmal die kleineren Arbeiten vom Fleck. Dies ist das Ergebnis einer Studie über das AKW an der russischen Ostseeküste, die AtomsicherheitsexpertInnen aus Rußland, USA, Großbritannien und Schweden heute vorstellen wollen.

Die vier Reaktoren des AKW Sosnowi Bor entsprechen von der Konstruktion her dem RBMK- Typ von Tschernobyl und sind mittlerweile bereits 25 Jahre in Betrieb. Es fehlen Reaktorkuppeln, und die Sicherheitssysteme sind deswegen besonders anfällig, weil sie räumlich und funktionell nicht ausreichend von den Hauptsystemen abgetrennt sind. Ein größerer Rohrbruch im Kühlsystem gilt nach wie vor als von den Reservesystemen nicht beherrschbar.

Die geplanten Umbauten, die laut Jan Nistad, Direktor der schwedischen Kernkraftinspektion „technisch recht unkompliziert“ sind, hätten eigentlich Mitte dieses Jahres abgeschlossen sein sollen. Nun werden sie sich um mindestens zwei Jahre verzögern. Und selbst das ist nur dann tatsächlich einhaltbar, wenn die Finanzierung umgehend geklärt wird. Neben der schlechten ökonomischen Situation in Rußland soll für die Probleme vor allem die Tatsache verantwortlich sein, daß vom Westen zugesagtes Geld bislang ausgeblieben ist.

Notwendig seien eigentlich Investitionen „von mehreren Millionen Dollar“, so Nistad, darunter „ein Reaktoreinschluß, völlig neue Notkühlsysteme, neue Elektronik zur Steuerung dieser Systeme und mehr voneinander unabhängige Sicherheitssysteme“.

Die Europäische Bank für Entwicklung und Wiederaufbau weigert sich, größere Darlehen zur Verfügung zu stellen, bis Moskau einen Zeitplan für die Stillegung des veralteten AKWs vorlegt. Nistad: „Die Regierung sieht das Problem, ist aber nicht bereit oder in der Lage, es in dem Takt anzugehen, den wir für erforderlich halten.“ Die Abschaltung eines als funktionstüchtig geltenden AKWs komme angesichts der Wirtschaftskrise für die russischen Behörden nicht in Frage.

Was westliche Investitionen angehe, besteht laut Nistad damit eine ganz unglückliche „Pattsituation“. Überlasse man Rußland allein die Sicherheitsaufrüstung, werde sie zwei- bis dreimal länger dauern – sofern sie überhaupt angefangen wird. Dabei gilt das AKW nicht nur als Sicherheitsrisiko für die nähere Umgebung, sondern für ganz Mitteleuropa. Reinhard Wolff