Moderate Abschlüsse regen Metaller auf

Warum die Gewerkschaft in der Tarifrunde endlich einmal zulangen will, und warum viele Arbeitgeber dafür sogar Verständnis aufbringen. Schon in dieser Woche könnte endlich eine Einigung erreicht werden  ■ Von Annette Rogalla

Berlin (taz) – Bei Porsche kommen immer häufiger Mitarbeiter mit Turnschuhen zur Arbeit, und deswegen findet Uwe Hück es gerecht, 6,5 Prozent mehr Lohn zu fordern. „Mit anderen Schuhen an den Füßen läßt sich der Takt der Montagebänder gar nicht mehr bewältigen“, sagt der Vorsitzende des Betriebsrats. Wer nicht schnell genug reagiert, dem läuft die Arbeit buchstäblich vor der Nase weg. Gummisohlen garantieren Bodenhaftung. Jeden Tag rollen 150 Autos vom Band. Vor vier Jahren lag das Tagessoll bei 100 Wagen. Die Autobauer in Stuttgart-Zuffenhausen haben ihre Produktion mustergültig rationalisiert. 1990 waren noch 8.700 Menschen beschäftigt, der Umsatz lag bei drei Milliarden Mark. Heute schaffen 7.100 Arbeitnehmer bei Porsche. Der diesjährige Umsatz wird bei 5,5 Milliarden Mark erwartet. Dies Traumergebnis, so Hück, sei nur möglich gewesen, weil die Gewerkschaft vier Jahre lang moderate Lohnerhöhungen von maximal 2,5 Prozent akzeptiert habe: „Immer in der Erwartung, daß auch mal Personal eingestellt wird.“ Diese Hoffnung ist zerschellt. Der 37jährige, der auch im Aufsichtsrat von Porsche sitzt, weiß nun, „daß der Unternehmer immer rationalisiert, egal wie niedrig der Lohnabschluß ist“.

Den Gewerkschaftern geht es in dieser Lohnrunde auch um eine „moralische Enttäuschung“. Hück sagt, bei Porsche hätten nur junge, schnelle und kräftige Arbeiter eine Chance. Akkordarbeiter die älter als 35 seien, „werden inoffiziell als unwirtschaftlich bezeichnet“.

Seitdem bekannt ist, daß Jürgen Schrempp vom Daimler-Chrysler- Vorstand sein Gehalt nicht nur versiebenfachen, sondern auch teilweise in den USA versteuern will, ist für Hück der Gipfel der Unverschämtheiten erreicht. Deswegen hält er 6,5 Prozent mehr Lohn für alle „im Prinzip für gerecht“.

Sind sie auch gerechtfertigt? Angesichts der pessimistischen Entwicklung der Gesamtwirtschaft mahnen Wirtschaftsforscher, Lohnzuwäche allgemein zwischen zwei und drei Prozent zu begrenzen. Horst Siebert vom Institut für Weltwirtschaft meint sogar, eine Lohnsteigerung um mehr als 2,5 Prozent erhöhe die Arbeitslosigkeit. Die Produktivitätsrate werde 1999 nur bei 1,7 Prozent liegen. „Steigen die Arbeitskosten stärker als die Fortschrittsrate der Arbeitsproduktivität, so wird Beschäftigung abgebaut. Es sei denn, die Unternehmer könnten die Kosten in ihren Absatzpreisen weiterwälzen“, meint Siebert.

Solche Ratschläge treffen bei der IG Metall auf taube Ohren. 1998 habe die Branche eine überproportionale Produktivitätssteigerung von fünf Prozent gehabt, kontert Hasso Düvel, IG-Metall- Bezirksleiter Berlin-Brandenburg. Mit dem Verweis auf die Branchendaten verläßt die IG Metall ihre hergebrachte Argumentationslinie. In der Vergangenheit basierten ihre Lohnforderungen immer auf den gesamtwirtschaftlichen Daten. „Das ist nicht illegetim, aber neu und unterstreicht, daß die Gewerkschaft nach den dürftigen Jahren einmal einen großen Schluck aus der Lohnpulle will“, sagt ein IG-Metall-Tarifexperte aus Stuttgart, der seinen Namen lieber nicht lesen will. Mit einem guten Schluck aus der Lohnpulle könnte die Aggression, die Rhythmik der einschnappenden Reflexe zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaft abgebaut werden. In Zukunft werde man wieder weniger verlangen.

„Ganz privat“ schraubt auch Uwe Hück von Porsche seine Erwartungen zurück. Wenn schon nicht 6,5 Prozent, will er mindestens vier Prozent holen. „Alles, was an Volumen darunter ist, würde ich persönlich als Niederlage der IG Metall empfinden.“

Am morgigen Dienstag treffen sich die Kontrahenten wieder. In den Bezirken Küste, Schleswig- Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg wird weiterverhandelt. Am Wochenende versicherten aber beide, eine Lösung auf „dem Verhandlungsweg“ zu finden. Werner Stumpfe, Chef des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, deutete an, daß mit einem neuen Angebot zu rechnen sei; mehr als drei Prozent seien aber „nicht drin“.

Noch tänzeln die Kampfstiere umeinander. Die IG Metall präpariert sich für einen Streik. Falls bis zum Donnerstag kein Ergebnis auf dem Tisch liegt, wird die Große Tarifkommission der IG Metall voraussichtlich das Scheitern der Verhandlungen feststellen. Nach dem Karneval kann es zur Urabstimmung kommen. Mit dem Ergebnis wird vor dem 25. Februar gerechnet. Es würde die erste Runde des Bündnisses für Arbeit schwer belasten.

Daß die Metaller das Bündnis ihrem Tarifritual opfern werden, bezweifelt Stefan Kufferath-Kassner aus Düren. „Das wäre doch ein Rückfall in anachronistische Zeiten“, sagt der Metallweber. In seinem „Familienbetrieb“ arbeiten 355 Beschäftigte, seit vier Jahren kann er die Anzahl halten. Dank moderater Löhne und eines Produktivitätsforschritts von durchschnittlich 20 Prozent im Jahr. Viel zu verteilen gebe es aber aber nicht. Die „deutliche“ Gewinnsteigerung der vergangenen Jahre sei aufgefressen worden. Kufferath-Kassner zählt auf: Die internationale Konkurrenz habe ihn genötigt, die Preise bis zu 15 Prozent zu senken, außerdem seien Verlustvorträge der vergangenen Jahre auszugleichen gewesen. „Für mich liegt die Schallgrenze bei dieser Tarifrunde bei drei Prozent. Darüber hinaus kostet es Arbeitsplätze.“ Vergangene Woche legten seine Arbeiter für eine Stunde die Werkzeuge aus der Hand. Der Chef zeigt Verständnis: „Wir haben den Jungs ja auch 'ne Menge zugemutet.“ Reden bis zur Einigung, empfiehlt Kufferath- Kassner den Tarifparteien. Vom Dialog bis zum Umfallen halten die Arbeitslosen nichts. „6,5 Prozent sind noch zuwenig!“ meint Harald Rein vom Arbeitslosenzentrum in Frankfurt am Main. Lohnzurückhaltung bringe keinen neuen Arbeitsplatz, die Kaufkraft müsse gestärkt werden. Bei hohen Lohnabschlüssen fließe mehr Geld in die Sozialkassen. „Und das kommt auch uns zugute.“

Lohnmäßigung oder die Kaufkraft stärken? Die Frage nach dem Weg zum Abbau der Arbeitslosigkeit scheint eine pure Glaubensfrage. Auch die Regierung ist sich uneins. Kanzler Schröder mahnt niedrige Lohnabschlüsse an, Finanzminister Lafontaine propagiert das Gegenteil. Insofern spiegelt der Tarifzwist auch die Uneinigkeit der Regierung wider. Ein Unterschied ist augenfällig: Minister tragen schon lange keine Turnschuhe mehr. Sie gleiten auf Ledersohlen zur Arbeit.