Koch versalzt Rot-Grün die Suppe

■ Bei der ersten Landtagswahl nach dem Machtwechsel in Bonn gewinnt die CDU in Hessen deutlich. Die SPD legt wenig zu, dramatischer Einbruch bei den Grünen. Nach Hochrechnungen ist Wechsel in Wiesbaden möglich

Wiesbaden/Bonn (taz) – Hundert Tage Rot-Grün in Bonn haben erste Folgen gezeitigt: Bei den Landtagswahlen in Hessen gab es die rote Karte für die regierende Koalition von Ministerpräsident Hans Eichel (SPD). Die ZDF-Hochrechnung von 20.10 Uhr ergab einen Zugewinn von über vier Prozent für die CDU auf 43,1 Prozent (50 Sitze im Wiesbadener Landtag). Zwar konnte auch die SPD um fast zwei Zähler auf 39,6 Prozent (46 Sitze) zulegen, der Koalitionspartner Bündnis 90/ Die Grünen jedoch büßte im Vergleich zum Wahlausgang 1995 gut vier Prozent ein: Die Grünen kamen auf 7,1 Prozent (8 Sitze). Die FDP, für die CDU möglicher Koalitionspartner für die nächsten vier Jahre, landete nach späteren Hochrechnungen gerade bei 5,0 Prozent (6 Sitze). Damit hätten die Christdemokraten zusammen mit der FDP eine knappe Mehrheit im Wiesbadener Parlament. Die rechtsradikalen „Republikaner“ kamen auf rund 3 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 66,4 Prozent.

Sollten sich CDU und FDP durchsetzen, würde Rot-Grün die Mehrheit im Bundesrat verlieren. Diese Mehrheit benötigt die Bundesregierung für Gesetze wie etwa die Steuerreform, die in der Länderkammer zustimmungspflichtig sind.

Hessens Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) schloß persönliche Konsequenzen nicht aus: Falls Rot-Grün nicht regierungsfähig sei, würde bei der nächsten Wahl „ein anderer oder eine andere“ antreten.

Der hessische CDU-Spitzenkandidat Roland Koch zeigte sich überglücklich über die Hochrechnungen zur Landtagswahl: „Das ist ein großer Tag für die hessische CDU“, sagte er. Er hoffe, daß die FDP wieder im Parlament vertreten sein werde. Das Ziel sei das Ende der rot-grünen Landesregierung gewesen und der Beginn einer neuen Regierung.

Der Bundesgeschäftsführer der SPD, Ottmar Schreiner, meinte: „Der CDU scheint es gelungen zu sein, entlang der Kampagne doppelte Staatsbürgerschaft ihr Wählerpotential unter Inkaufnahme deutschnationaler Töne zu mobilisieren.“ In einer ersten Stellungnahme meinte Grünen-Sprecherin Gunda Röstel in Bonn, die Kampagne der CDU habe deutlich zu Buche geschlagen.

Dem Grünen Ludger Vollmer hatte das Ergebnis die Sprache verschlagen. Von Partystimmung keine Spur: Man müsse „nachschauen, welche landes- und welche bundespolitischen Effekte sich da addiert haben“, sagte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt.

Cem Özdemir, innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen, war da selbstkritischer. Die Grünen seien offensichtlich nicht mit ihren Themen rübergekommen. Man habe die eigenen Wähler nicht mobilisieren können. Özdemir will die bundespolitische Bedeutung der Landtagswahlen bei den nächsten Wahlen hervorheben. Man müsse klarmachen, daß bestimmte Reformvorhaben nur mit einer Mehrheit im Bundesrat durchsetzbar seien. An die Adresse der SPD sagte er: „Wir haben bis jetzt immer die Drecksarbeit machen müssen. Wir werden prüfen müssen, ob das in Zukunft so weitergeht.“

Ob innerhalb der CDU viele an einen Erfolg ihrer Partei bei den hessischen Landtagswahlen geglaubt haben, ist fraglich. Im Bonner Konrad-Adenauer-Haus stand jedenfalls nicht Sekt, sondern Selters bereit – ohnehin hatten den Weg dorthin kaum Feiernde in Siegeslaune, sondern fast ausschließlich Journalisten gefunden.

Der Parteivorsitzende trug ebenfalls wenig dazu bei, Jubel zu erzeugen: Als Wolfgang Schäuble kurz vor 19 Uhr zur Pressekonferenz kam, stand noch nicht fest, ob die FDP den Sprung über die Fünf- Prozent-Hürde geschafft hatte. So lobte er denn mit ernstem, fast angespanntem Gesicht den „ungewöhnlich engagierten und couragierten Wahlkampf“ von Roland Koch, wies auf die Unterstützung der Bundespartei hin und darauf, daß man „gemeinsam einen bemerkenswerten Wahlerfolg errungen“ habe. Dann ging er sofort zum Angriff über: auf die rot-grüne Bundesregierung.

Die Wählerinnen und Wähler in Hessen hätten, so Schäuble, „ein Urteil über hundert Tage“ Rot-Grün abgegeben. Bundespolitische Aspekte wie „das Chaos, das Durcheinander und die Verschlechterung der Rahmenbedingungen“, für die die Bundesregierung verantwortlich sei, spielten seiner Ansicht nach eine wesentliche Rolle beim Ausgang der hessischen Landtagswahlen. Draußen auf dem Gang formulierte es wenig später CDU- Generalsekretärin Angela Merkel noch drastischer: Das Ergebnis sei auch „Ausdruck der miesen Bilanz von Rot-Grün nach hundert Tagen“.

Nun war es die CDU selbst gewesen, die mit der umstrittenen Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft ein bundespolitisches Thema in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs gestellt hatte. Die Aktion habe „zur Mobilisierung eigener Wähler beigetragen“, erklärte Schäuble. Er erwarte, daß SPD und Grüne nun darüber nachdenken werden, „ob sie weiterhin den Eindruck erwecken wollen, es interessiere sie überhaupt nicht, was die Bevölkerung darüber denkt“. Mit einem sofortigen Verhandlungsangebot von Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Thema rechnet der Fraktionsvorsitzende der Union nicht, aber: „Ich nehme jetzt mal an, daß er vielleicht anfängt nachzudenken.“

Ungefragt wies Wolfgang Schäuble darauf hin, daß rechtsradikale Kräfte bei den Wahlen in Hessen „keinen Erfolg“ erzielen konnten – er hält das, wie er durchblicken ließ, für einen Erfolg der Unionskampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Ob das gute Ergebnis für die eigene Partei am Ende auf sein Konto oder das des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) verbucht werden wird, wird sich wohl erst in den nächsten Tagen zeigen. Vielleicht war auch darin der Grund für die allenfalls verhaltene Freude des CDU-Vorsitzenden zu suchen.

Thorsten Denkler, Bettina Gaus

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