Die sich mit der Waffe die Meinung sagen

Gleich drei Staatsschutz-Prozesse gegen Mitglieder der linken türkisch-kurdischen Organisation Devrimci Sol laufen zur Zeit vor dem Oberlandesgericht in Hamburg  ■ Von Kai von Appen

Der DHKP-C-Prozeß

Seit gestern steht Ilhan Y. erneut vor Gericht. Vor dem Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG) muß sich der 33jährige wegen Mordes an einem Imbiß-Besitzer und „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ nach § 129a des Strafgesetzbuches verantworten. Außerdem soll er am Überfall auf den Yagan-Anhänger Ercan E. am 5. September 1997 beteiligt gewesen sein, der in der Altonaer Thedestraße durch drei Schüsse niedergestreckt wurde.

Der Prozeß begann turbulent. Noch vor der Verlesung der Anklageschrift stellte die Verteidigung gegen das Gericht einen Befangenheitsantrag und forderte die Aussetzung des Verfahrens. Die Anwälte bemängelten, daß ihnen wichtige Beweismittel aus Telefonüberwachungen vorenthalten wurden und daß der OLG-Senat entgegen der Vorgaben des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof Isolationshaft angeordnet hat.

Es ist zur Zeit das dritte Verfahren in Hamburg gegen Mitglieder der seit 1983 in Deutschland verbotenen linken türkisch-kurdischen Organisation Devrimci Sol (Dev Sol), deren Flügel um die Ex-Führer Dursum Karatas und Bedri Yagan seit der Spaltung 1993 verfeindet sind. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Nachfolgeorganisationen DHKP-C (Karatas) und Dev Sol Göcler (Yagan) werden nicht selten mit Waffen ausgetragen.

Am 25. April 1997 war es zwischen Karatas-Anhängern und dem Wilhelmsburger Grill-Inhaber Erol. K. zu einem Streit gekommen, weil Verkäufer der DHKP-C-Zeitung „Kurtulus“ aus dem Laden geworfen und zwei Frauen sexuell belästigt worden waren. Am Abend war eine Gruppe von Karatas-Leuten zurückgekommen und hatte das Lokal aus Vergeltung demoliert. Ilhan Y., der unter dem Decknamen „Fazil“ als DHKP-C Hamburg-Beauftragter agiert haben soll, hat laut Anklage K. erschossen.

Ein erstes Verfahren gegen Ilhan Y. vor dem Landgericht wurde 1998 eingestellt. Ihm konnte nicht nachgewiesen werden, daß er überhaupt am Tatort gewesen war. Inzwischen will der Staatsschutz beim Abhören von Telefonaten auf eine neue Spur gekommen sein. „Fazil“, so schnappten die Ermittler auf, sei im Imbiß gewesen und habe „zweimal abgedrückt“. Da das Verfahren gegen Ilhan Y. nur eingestellt war, konnte es wieder aufgerollt werden.

Der Karatas-Prozeß

Nach mehr als zehnmonatiger Dauer geht am morgigen Mittwoch das Karatas-Verfahren gegen den damaligen Schützen aus der Thedestraße, Ali E. alias „Turan“, und die Mitangeklagten Serefetin G. und Erdogan C. mit den Plädoyers in die entscheidende Phase. Erdogan C. muß sich wegen Schüssen auf einen Yagan-Anhänger in Frankfurt, der zuvor auf Karatas-Leute geschossen hatte, auch wegen versuchten Mordes verantworten. „Ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle“, gestand Erdogan C., „ich habe nur auf die Füsse geschossen“. Serefetin G. soll als Deutschlandbeauftragter unter dem Decknamen „Memmet“ den Hamburger Anschlag auf Ercan E. sowie zwei weitere Mordbefehle gegen Hamburger Yagan-Leute befohlen haben.

Die Bundesanwaltschaft präsentierte kürzlich als Zeugen den V-Mann Ali Burkac, der seit 1992 in München in den DHKP-C-Strukturen für den Verfassungsschutz spitzelte und als Führungskader an sogenannten Parteiparlamenten teilgenommen hat. Obwohl er mehrfach bei diesen Meetings dabei gewesen war, konnte er vor Gericht zu den Inhalten der Diskussionen wenig sagen. Allerdings, und das ist für die 129a-Anklage wichtig: Am 23. August 1997 soll dieses Gremium beschlossen haben, daß „die Putschisten“ des Yagan-Flügels zu erschießen seien.

Vor zwei Wochen bot die BAW einen zweiten V-Mann auf. Hüseyin Ergin, der in der DHKP-C als Darmstadt-Beauftragter fungierte, entlastete zwar einerseits Erdogan E. wegen der Schießerei in Frankfurt: „Die Auseinandersetzung war nicht geplant.“ Andererseits plauderte Ergin über „Jagden auf Yagan-Anhänger“ in Hamburg, an denen auch „Turan“ und Erdogan C. beteiligt gewesen sein sollen. Die Befehle hat nach Auffassung der Anklagebehörde „Memmet“ gegeben. „Es gab zwar keine Anweisung zu töten“, erklärte Ergin, „die Anweisung war aber auch nicht begrenzt.“

Seinen Ausstieg begründete Hüseyin Ergin mit „Gewissenkonflikten“. Er habe von der DHKP-C den Auftrag bekommen, einen Zeugen des Hamburger Verfahrens zu „bestrafen“. „Ich sollte ihn töten“, behauptete Ergin. Die Verteidigung glaubt eher, daß er mit einer Legende den Vorwurf der „terroristischen Vereinigung“ abrunden soll.

In Erklärungen bekannten sich die Angeklagten zwar zu den Geschehnissen, die „außer Kontrolle“ geraten seien. „Wir haben Fehler gemacht, das durfte nicht geschen“, beteuerte Serefetin G. alias „Memmet“. Dennoch wiesen sie die Vorwürfe einer „terroristischen“ oder „konspirativen Organisation“ zurück. Die Angaben der V-Leute seien Bestandteil eines „Geheimdienstkomplottes“, die „diffusen Todesbeschlüsse“ habe es nie gegeben. „Wir haben nicht illegal und konspirativ gearbeitet, sondern öffentlich und demokratisch“, erklärte „Memmet“, „von uns wird in Zukunft keine Gewalt mehr ausgehen.“

Dennoch fordert die BAW wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung und Mordversuchs beziehungsweise gefährlicher Körperverletzung hohe Haftstrafen. Serefetin G. soll zwölf, Erdogan C. zehn und „Turan“ sechs Jahre in den Knast.

Der Yagan-Prozeß

Von Gewalt distanziert haben sich auch die drei Yagan-Anhänger Taylan T., Armagan U. und Abbas Y. im seit Oktober laufenden dritten OLG-Verfahren, in dem am Donnerstag ein erstes Teilurteil erwartet wird. Die drei wurden am 29. Januar 1998 in der Bahrenfelder Straße in Ottensen in eine Schießerei verwickelt, als sie beim Zeitungsverkauf auf zwei Karatas-Leute stießen. In diesem Verfahren kann die BAW den 129a Vorwurf nicht aufrechterhalten, nachdem Taylan T. gestanden hat, in Panik die Schüsse auf die Rivalen abgegeben zu haben. Taylan T.: „Ich weiß, daß es falsch war, was ich getan habe, und daß es nie wieder passieren darf.“

Trotz dieses Geständnisses und der Erkenntnisse aus der mehrmonatigen Beweisaufnahme blieb die BAW in ihren Plädoyers bei ihrer urprünglichen Version, wonach Armagan U. als Mitglied eines „Killerkommandos“ auf den Karatas-Kontrahenten Hidir M. geschossen habe. Taylan T. habe dann auf der Flucht ebenfalls gefeuert. Für versuchten Mord fordert die BAW für Armagan U. sieben und für Taylan T. fünf Jahre Haft. Dabei stützte sie sich ausschließlich auf die Wahrnehmungen von zwei Staatsschützern, die die Clique damals observiert hatten, die sich aber inzwischen als objektiv unwahr herausstellten.

Taylan T.'s Einlassung ist dagegen schlüssig. Er war am 13. Mai 1996 von Karatas-Anhängern zusammengeschlagen und so schwer verletzt worden, daß er seither unter einem „posttraumatischen Belastungssyndrom“ leidet. Durch das Zusammentreffen mit den Karatas-Leuten sei ein „Assoziationssturm“ entfacht worden, so Gutachter Hans-Jürgen Horn, so daß die Schüsse im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit abgefeuert worden seien.

Ob die beiden Staatsschutz-Senate den Bundesanwälten folgen werden, bleibt abzuwarten. Richter Albrecht Mentz sagte den Angeklagten im Karatas-Verfahren Milde zu, wenn sie – wie geschehen – der Gewalt abschwören. Mentz: „Das wird erhebliche Folgen zugunsten der Angeklagten haben.“