„Wir sind keine grüne Kirche“

Eine Filiale des Parteivorstands will keiner in der Heinrich-Böll-Stiftung sein. Doch mit dem grünen Regierungseintritt stellt sich die Frage nach der eigenen Rolle neu  ■ Von Rolf Lautenschläger

An einer Hauswand gegenüber den Hackeschen Höfen, der feinen Adresse in Berlin-Mitte für die Neureichen der Kunst- und Galerienszene, hat ein Sprayer sein „tag“ hinterlassen. Deutlich lesbar steht dort, als Anmerkung zum Wandel der einst mit schmuddeligem Charme behaftenen Gewerbehöfe in neue Büros, Kinos, Galerien und Kneipen: „Wohin?“ So einfach, wie die Frage gestellt ist, so schwierig scheint die Anwort besonders für einen Teil der Hauptmieter der topsanierten Hackeschen Höfe. Seit die Partei Bündnis 90/Die Grünen mit am Regierungstisch von Bundeskanzler Gerhard Schröder sitzt, sucht die Heinrich- Böll-Stiftung, Nutzerin von drei Geschossen in dem restaurierten Jugenstilensemble, nach einer neuen Rolle. „Wohin“ der Weg geht, ist offen.

Wer nach den politischen und konzeptionellen Differenzen zwischen der Heinrich-Böll-Stiftung und der Partei Bündnis 90/Die Grünen fragt, könnte einen Hinweis im neuen Logo der Stiftung finden. Der just – nach viel Gezänk um die neue Corporate identity der Stiftung – von der Werbeagentur grappa blotto vorgelegte Entwurf bildet einen Strichkode, wie er auf der Etikettierung von Lebensmitteln zu finden ist. Ganz der grünen Tradition verpflichtet, komplexe politische Perspektiven in der Partei zu versammeln, stellt sich das Logo als eine Folge unterschiedlich grüner Farbstriche dar – mal dunkelgrün, mal hellgrün, mal moosartig, mal fast grün-ausgebleicht. Grün ist also nicht gleich Grün.

Variantenreich in Grün geschillert hat die Heinrich-Böll-Stiftung schon immer. Doch ihr Selbstverständnis sowie ihr Verhältnis zur Partei oszilliert seit der Regierungsbeteiligung noch mehr. Zwar besteht noch weitgehend Konsens bei der Schwerpunktsetzung der Stiftung in der Auslandsarbeit, in die rund drei Fünftel des 63-Millionen-Mark-Etats fließen. Doch welches Profil die Auslandsprojekte für Umwelt-, Menschenrechts- und Friedensgruppen auszeichnen soll, ob der Schwerpunkt weiter in Richtung Unterstützung internationalistischer Politik und NGOs (regierungsunabhängige Organisationen) oder aber in Richtung der Verstärkung außenpolitischer Beziehungen gehen wird, ist umstritten.

„Das alte elitäre Image“ von Solidaritätsbewegungen, dezentraler, basisdemokratischer sowie autonomer Initiativen steht in der Berliner Zentrale auf dem Prüfstand, findet Michael Alvarez, Sprecher der Stiftung. Zum Sinnbild des neuen Images gehöre nun einmal das Prinzip der Arbeitsteilung und die Besetzung neuer zeitgemäßer Inhalte. Eine Strukturreform soll die einzelnen Abteilungen, deren Projekte und Etats transparenter machen. Projektteams haben zukünftig die Aufgabe, Themen und Veranstaltungen zu koordinieren. „Früher ist man eben in den Wald gegangen“, schmunzelt der Sprecher. Heute müsse die Arbeit „statt projektbezogener Aktivitäten nun systematischer und professioneller“ in Angriff genommen werden. Zu den neuen Schwerpunkten der Institution rechnet Alvarez nicht nur den stärkeren Berlin-Bezug. Immer wichtiger werde auch die Auseinandersetzung mit Themen der Globalisierung, der Ökosteuer oder der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Realität in Ostdeutschland, Osteuropa und dem Nahen Osten, der sich verändernden Arbeitswelt oder dem Euro und dem Staatsbürgerschaftsrecht.

„Es ist derzeit viel in Bewegung, doch es täte uns gut, wenn die Reform zu klaren Strukturen führen würde“, klagt eine Mitarbeiterin. Da viele Böll-Mitarbeiter aus den „parteifernen Einzelstiftungen“ ihre Pfründen, Themen und Aktivitäten weiter selbstgefällig behandeln möchten, fehle es noch an einem gemeinsamen Handlungsstrang zur koordinierten Arbeit und inhaltlicher Auseinandersetzung. „Jede Abteilung ist noch ein einzelnes Fürstentum“, die Stiftung leide unter diesem „atomisierten Zustand“, der neue Wege erschwere. Zugleich, findet die Mitarbeiterin, dürfe eine Neuorientierung der Heinrich-Böll-Stiftung nicht in Richtung autoritärer Strukturen gehen – gemeint sind Vorstand und Aufsichtsrat – oder in eine zu große Abhängigkeit zur grünen Partei führen. Vielmehr sei es wichtig, die grüne Parteipolitik durch eigene Themen zu beeinflussen und diese, etwa die Rolle der NGOs gegenüber dem Interesse grüner Außenpolitiker, zu behaupten.

Denn deren Begehrlichkeiten sowie die der grünen Parteispitze insgesamt sind enorm: Immer noch muß sich die Heinrich-Böll-Stiftung den Vorwurf gefallen lassen, sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Partei selbst wenig präsent zu sein. So kann sich die Sprecherin der Berliner Grünen-Fraktion, Marie-Luise Dittmar, zwar an zahllose Einladungen, die auf ihren Tisch „flattern“, erinnern. Sie bemängelt aber eine „offensive gemeinsame Planung“ von Themen. Zugleich äußert die grüne Partei immer größeres Interesse, an Seminaren, Vorträgen und Debatten zu ökologischen, sozialen innen- und außenpolitischen Fragen zu partizipieren. Praktische Unterstützung für die Parteiarbeit etwa fordert Umweltminister Jürgen Trittin. Analysen, beispielsweise der innenpolitischen Situation der USA vor einem Amerika-Besuch, sollte das Washingtoner Büro vor der USA-Reise von Joschka Fischer 1998 auf den Tisch legen.

Als regelrechte Dienstleister der Partei sieht die frühere Bundesgeschäftsführerin und Europakandidatin der Grünen, Heide Rühle, die Heinrich-Böll-Stiftung. Ebenso wie etwa bei der CDU-nahen Konrad-Andenauer-Stiftung oder der SPD-nahen Friedrich- Ebert-Stiftung erwarte heute die Partei von der Stiftung eine breite politische Bildungsarbeit im Interesse der Grünen. Zwar haben sich das frühere „unbefriedigende Verhältnis und die fehlende Abstimmung“ geändert. Die einstige „Abschottung der Belegschaft“ sei nicht mehr so gravierend. Dennoch erwartet Rühle mehr Einsatz der Stiftung für den grünen Aufbau im Osten. Dort solle die Stiftung „das Terrain für die Fraktion und die Partei“ ebnen. „Aber es gibt nicht nur Defizite dort“, findet Rühle. Zur Aufgabe der Stiftung gehöre auch, „neue Themen und Zielgruppen“ aufzutun. So sollten Studien etwa zur Entsorgung von Atommüll oder zu Parteienbündnissen erstellt werden. Zugleich müßte sich die Stiftung um gesellschaftliche Gruppen wie Jugendliche, Künstler und Intellektuelle stärker kümmern und deren Relevanz für die grüne Politik ausloten.

Schließlich erwartet Rühle, daß sich das außenpolitische Profil der Stiftung mit der Amtsübernahme von Joschka Fischer den „Anforderungen der Außenpolitik“ anpasse. „Die Stiftung müßte politische Debatten zu den außenpolitischen Beziehungen anstoßen und weniger die Linie der NGOs bedienen.“ Da wären die Böll-Leute „nicht auf der Höhe der Zeit“.

Trotz der Begehrlichkeiten zeigen die grünen Stars den „Böllern“ – als wären sie ungezogene Kinder – schon einmal die kalte Schulter. Als Ignoranz der Stiftungsarbeit wurde etwa – trotz Einladung – die Abwesenheit des neuen Außenministers Fischer bei der erstmaligen Verleihung des Petra-Kelly-Preises an die Menschenrechtsorganisation Unpo im Herbst gedeutet. Während der von der Böll-Stiftung ins Leben gerufene Preis in einem Festakt an Helen Corbett vergeben wurde, saß Fischer keine zwei Kilometer weiter in den Räumen des konservativen Tagesspiegels zum Antrittsbesuch.

„Natürlich war die fehlende Parteipräsenz enttäuschend“, sagt Vorstand Ralf Fücks, wohl wissend, daß Fischers Abwesenheit von vielen Mitgliedern als Affront verstanden wurde. Die Parteipräsenz, wiegelt Füchs ab, „ist kein generelles Problem“. Ist es aber doch: Denn ebenso wie Fischer ließ Ludger Volmer die Einladung zum außenpolitischen Jour fixe platzen. Und auch zu einer geplanten Irak-Veranstaltung seien keine Grünen aus Bonn „aufgekreuzt“, just als Joschka Fischers Haltung zu den amerkikanisch-britischen Bombardements äußerst kontrovers diskutiert wurde, schimpft eine Mitarbeiterin.

Fücks selbst sieht das Dilemma zwischen alter Stiftungsidentität und notwendiger Neuorientierung – auch im Hinblick auf die Parteiinteressen –, in dem die Stiftung steckt, und sucht nach einen dritten Weg. Es könne natürlich nicht sein, daß die Partei die Stiftung für sich vereinnahmen wolle. Weder agiere die Stiftung „auf Knopfdruck“, noch sei sie Dienstleister oder gar Stimmenfänger für die Grünen. „Wir erfüllen keine Auftragsarbeiten“, und eine Filiale des Parteivostands sei Berlin ebensowenig.

Richtig sauer wird Fücks, wenn die Arbeit der Stiftung als „PR- Agentur“ oder zu „Themen der aktuellen Tagespolitik mißbraucht“ werden soll. Die Heinrich-Böll-Stiftung habe bezüglich der Partei höchstens „Steuerungsfunktionen“ – nicht mehr.

Auch wenn Ralf Fücks einräumt, daß man bei der Arbeit heute den „höheren Stellenwert der Außenpolitik“ zu berücksichtigen habe, heißt das noch lange nicht, daß die Heinrich-Böll-Stiftung die Grünen unkritischer als früher sehe. Im Gegenteil. Mit der Regierungsbeteiligung und den Anforderungen der SPD müsse um so mehr darauf geachtet werden, „welche Themen die Grünen noch anpacken“.

Und weil Fücks fürchtet, daß im Koalitionsalltag Essentials grüner Ideologie verlorengehen, soll die Stiftung als moderner „Ideengeber“ die Steuerung politischer Diskurse und Themen etwa bei den Zukunftstechnologien, der Arbeitswelt und bei der Rolle der Gewerkschaften oder den Ost-West- Debatten besetzen. „Eine grüne Kirche wollen wir nicht sein“, sagt Fücks. Hinter den Worten hört man noch ein wenig Fundamentalismus hindurch – wofür Fücks zwar nicht steht, aber andere noch immer um so mehr.