In mildem grünem Licht

■ Ein Arte-Abend mit Filmen und Anekdoten aus dem traurigen Leben von F. Scott Fitzgerald

In der Ferne, auf der anderen Seite der Bucht, das grüne Licht. Ein jugendlich wirkender Mann, vielleicht gerade jenseits der 40, steht, die Hände in den Taschen seiner Leinenhose vergraben, die Augen hinter dunklen Gläsern geschützt, an der windigen Bootsanlegestelle und starrt unverwandt aufs Wasser hinaus. Einsamkeit, Schwermut, „Spuren eines allzuschnell vergeudeten Glücks ...“ – Aber hoppla! Das ist ja gar nicht F. Scott Fitzgerald oder gar die Hauptfigur seines berühmtesten Romans, der „große Gatsby“. Nein, der Mann heißt Xavier Villetard und ist der Co-Autor einer anderthalbstündigen Dokumentation von Claude Ventura über Fitzgerald.

Kamerascheu scheint der Co- Filmer nicht gerade zu sein: Rauchend läßt Ventura ihn im Leihwagen durch Hollywood fahren, rauchend streunt er im Dämmerlicht um einen verlassenen Wohnblock, stets mit der verschlossenen Miene eines Mannes, der mit seinem Traum allein sein will. Und der heißt, Fitzgeralds Spuren ausgraben, oder sind's doch die eigenen?

Denn Ventura lungerte schon „vor 15 Jahren einmal“ an Fitzgeralds Lebensschauplätzen herum – macht aber immerhin keinen Hehl daraus, daß er sein altes Filmmaterial wiederverwertet und längst gedrehte Ansichten zwischen die neuen Videosequenzen schneidet. Schließlich geht es ja auch um Versatzstücke: Ventura und Co-Autor Xavier Villetard blättern versonnen in zwei dicken (nachgebauten) Alben mit Fotos und Briefen Fitzgeralds und reisen zu der Handvoll noch lebenden Menschen, die den Autor und seine Frau Zelda kannten, um ihnen ein paar Erinnerungen zu entlocken. Oder das, was davon übriggeblieben ist, denn Fitzgerald starb 1940, mit 44, an Herzversagen.

Das Fakten- und Meinungsmonopol indes scheint im Besitz des Fitzgerald-Biographen und Literaturprofessors Matthew Bruccoli zu sein. Jener fährt dem Gast aus Frankreich über den Mund und belehrt ihn, daß die Literaturgeschichte lediglich aus erfundenen Anekdoten bestehe. Bei den unbeholfenen Fragen nach „Skandalen“ winkt der Biograph müde ab; ob Zelda denn etwa nicht „a nice girl, very beautiful“ gewesen sei? Bruccoli gibt ihm Saures; und Fitzgeralds Roman „Der Knacks“ findet Bruccoli, wie damals schon Hemingway, „weinerlich“ und „würdelos“.

Doch selbst wenn die Autoren konsequent die Hinweisschilder übersehen und die diversen Pilgerstätten ganz allein „entdeckt“ haben wollen, verzichtet ihre Dokumentation doch auf Bilder von Flappern beim Charleston und die restlichen Insignien jener „wilden“ 20er Jahre, aus deren Endlosparties Fitzgerald als Alkoholiker und Zelda in der Klapse erwachte. Die Strandhäuser und Hotels, in denen Fitzgerald einst als Amerikas größter Schriftsteller gefeiert wurde, sind entweder verschwunden oder verlassen. Ebenso bar aller Prachtentfaltung wirken die „Zeugen“ – darunter die Sekretärin, die die leeren Ginflaschen des Schriftstellers entsorgte; ein Hollywood- Drehbuchautor, dessen väterliches Grundstück an jener Bucht mit dem „grünen Licht“ lag; und ein Buchhändler, der F. Scott einst zum Pipimachen in den Hotelgarten führte. Mit ihren verklärten Anekdoten und uralten Urlaubsfilmen werfen sie gleichwohl neues Licht auf diese furchtbar traurige Gestalt, die Fitzgerald am Ende seines 44jährigen Lebens war, als ihn Hollywood als gescheiterten Drehbuchschreiber abservierte.

Wenn die Literaturgeschichte eine Lügengeschichte wäre, würde uns sicher eine Menge entgehen. Bei allem Pubertätsblues und allen düsteren „Vorahnungen“ eines unablässig und grundlos vor der Kamera umherstrolchenden und zigarettenpaffen-lassenden Filmautors schimmert diese verhaltene und erschöpfende Untergangsdokumentation in mildem grünem Licht. „Scott schreibt zwar Riviera mit zwei r, doch es sind glückliche Tage“, kommentiert er. Was beweist: Man kann eben nicht alles haben. Monie Schmalz

Arte Themenabend: „Wiedersehen mit Babylon“, 21.40 Uhr; „Der große Gatsby“ (die zweite – und angeblich gelungenste – Verfilmung von 1946), 23.10 Uhr