„Grüne keine Zukunftspartei mehr“

■ Für Jugendliche sind die Grünen eine ganz normale Partei geworden, so Sozialforscher Arthur Fischer, der die Shell-Jugendstudien mit erarbeitet

taz: Die CDU hat am Sonntag bei den unter 30jährigen um 10 Prozentpunkte zugelegt, die Grünen haben 11 verloren. Wundert Sie das?

Arthur Fischer: Bei der CDU schon. Damit war nicht zu rechnen. Man müßte genauer wissen, welche Jugendlichen nun zum ersten Mal CDU gewählt haben. Möglicherweise hat die Kampagne gegen den Doppelpaß bestimmte junge Leute angesprochen.

Welche springen denn auf den Doppelpaß an?

Solche, die üblicherweise nicht zur CDU-Klientel gehören, sondern weiter rechts stehen. Die hören die erste Botschaft der Kampagne „Doppelpaß – Nein!“ – und übergehen die Differenzierung „Integration – Ja“. Aber das ist Spekulation im Moment.

Und die Verluste der Grünen?

Das überrascht nicht. Wir haben das in der 97er Shell-Jugendstudie gesehen: In den Augen Jugendlicher stehen die Grünen nicht mehr für die klassischen Zukunftsthemen, das heißt Jugendthemen.

Aber Umweltminister Trittin hat doch mit einem starken Atomauftritt beweisen wollen, wie zukunftsfähig die Grünen sind.

Nach ihrem Selbstverständnis sind die Grünen eine Ökopartei. Aber für Jugendliche sind sie „eine ganz normale Partei“ geworden. Die Grünen erwecken nicht den Eindruck, daß ihnen die Zukunftsängste junger Leute wichtig sind.

Welche sind das?

Am bedrückendsten empfinden die Kids Arbeitslosigkeit und Lehrstellenmangel. Dann macht ihnen Schule und Umweltzerstörung Sorgen. Die Atomkraft, die für die Grünen zu ihrer Jugendzeit wichtig war, spielt heute keine so große Rolle mehr.

Wie ist – auch wenn es ihn nicht gibt – der Durchschnittsjugendliche politisch gestrickt?

Den gibt's wirklich nicht. Eine Sache ist generell wichtig: Jugendliche sind durchaus bereit, politisch aktiv zu werden. Die sind keineswegs so politikverdrossen, wie oft behauptet wird. Aber sie sehen bei den Parteien keinerlei Möglichkeit, etwas von ihren Anliegen durchzusetzen. Auch bei den Grünen nicht. Sie suchen nach anderen Formen politischen Engagements.

Wie sieht das aus?

Das geschieht zum Beispiel in kurzzeitigen Initiativen. Wir beobachten auch, daß eher unpolitische Freizeitgruppen schnell mal aktiv werden – und sich dann wieder in den Freundeskreis zurückziehen. Zum Beispiel Freizeitkicker, die alle Aspekte politischer Organisation und Artikulation zeigen, wenn man ihnen ihren Bolzplatz wegnehmen will. Das Faszinierende daran ist, daß sich politisches Engagement ändert.

Wenn man das engere parteipolitische Verständnis nimmt: Haben Sie da nach Präferenzen gefragt? Die Sonntagsfrage?

Die macht keinen Sinn. Denn von den 12- bis 24jährigen dürfen ja ganz viele noch nicht wählen. Wir haben ganz weich gefragt, welcher Partei steht euch am nächsten. Die mit Abstand führende Partei ist dabei die der Nichtwähler. 38 Prozent der befragten Jugendlichen finden, daß ihnen keine der Parteien am nächsten steht.

Und die anderen?

Die entscheiden sich zu 20 Prozent für die Grünen, 18 Prozent fühlen sich der SPD und 15 der CDU nahestehend. Aber das sind, wie gesagt, keine Wahlpräferenzen. Interview: Christian Füller