Eine stärkere Abgrenzung vom Koalitionspartner

■ Die Bonner Sozialdemokraten schieben den Grünen den Schwarzen Peter zu. Kritik gibt es aber auch an der Parteilinie – die SPD solle sich wieder an den eigenen Themen orientieren

Kaum ist eine Landtagswahl nicht so gelaufen wie gewünscht, bricht bei der SPD die Fassade der Einigkeit zusammen. Aus Fraktion, Partei und Ländern kommen in atemberaubender Geschwindigkeit die unterschiedlichsten Vorschläge für eine Richtungskorrektur, ganz so, als wäre dafür die Hessen-Wahl der langersehnte Aufhänger. Den Schwarzen Peter bekommen die Grünen zugeschoben.

Tohuwabohu gibt es vor allem bezüglich der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Überraschend schnell meldete sich Parteichef Oskar Lafontaine damit zu Wort, Konsequenzen beim neuen Staatsbürgerschaftsrecht zu ziehen. Noch am Abend zuvor hatten sowohl Fraktionschef Peter Struck als auch Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner bekräftigt, daß sich an der geplanten Neuregelung nichts ändern werde. Struck sagte: „Wir werden das Ausländergesetz unverändert einbringen.“

Sowohl der Fraktionsvorsitzende als auch der Bundesgeschäftsführer stehen nun düpiert da. Nicht wenige Sozialdemokraten stellen sich die Frage, warum Lafontaine derart vorgeprescht ist. Natürlich ist er Parteivorsitzender. Aber hat er etwa die Abwesenheit von Bundeskanzler Gerhard Schröder, der am Begräbnis des jordanischen Königs Hussein teilnimmt, genutzt, um sich wieder einmal als Herr im Ring zu präsentieren? Glaubt er, wieder stärker die Richtung der SPD vorgeben zu müssen? Eine Gefolgsfrau von Lafontaine, Andrea Nahles, zeigte sich über die Ankündigung Lafontaines empört. „Die ganze Zeit“, ereiferte sie sich, „haben wir Vogel-Strauß-Politik betrieben, und jetzt werfen wir uns auf einmal der Strategie der Gegenseite vor die Füße. Schwachsinn!“ schäumte sie.

Aber bei der SPD geht es um mehr als nur die Korrektur eines einzelnen Gesetzes. Während die offizielle Sprachregelung lautet, die CDU habe eben besser mobilisieren können, die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts sei schuld, an der Bilanz der Bundesregierung könne es nicht gelegen haben, wollen sich einige damit nicht zufriedengeben. Ausgerechnet Schröders ehemaliger Stellvertreter in Niedersachsen, der heutige Ministerpräsident Gerhard Glogowski (SPD), kritisierte die bisherige Regierungsarbeit. Das Erscheinungsbild der Bonner Koalition habe eine wichtige Rolle gespielt. „Ich denke, daß die Grünen sehr viel Anlaß haben, darüber nachzudenken, ob sie das schwerpunktmäßig von Trittin geprägte schlechte Erscheinungsbild beibehalten wollen.“

Damit attackierte Glogowski zwar vordergründig die Grünen, warf seiner Partei aber indirekt vor, sich von den Grünen auf der Nase rumtanzen zu lassen. Die SPD sei jetzt gefordert, stärker ihre eigene Rolle in der Koalition auszuspielen, als auf Rot-Grün Rücksicht zu nehmen. In der Darstellung müsse die SPD die eigene Position deutlicher nach vorn bringen. „Das ist in den ersten 100 Tagen noch nicht so gelungen.“

Mehr Abgrenzung von den Grünen empfiehlt auch der Umweltexperte der SPD, Michael Müller. Die SPD müsse sich nun mehr auf typisch sozialdemokratische Themen konzentrieren. In der Öffentlichkeit seien bisher vor allem die Themen Atomausstieg und Staatsbürgerschaft wahrgenommen worden, und das seien Grünen-Themen. Fraglich ist allerdings, ob das so stimmt. In den Bereichen Steuerpolitik, 630-Mark- Jobs und Bündnis für Arbeit hatten bisher immer die Grünen den kürzeren gezogen, wie ja schließlich auch beim Thema Atom. Die Grünen entschuldigten sich immer damit, daß sie als kleinerer Koalitionspartner schließlich nur einen beschränkten Einfluß hätten.

Nun soll es also umgekehrt sein. Dennoch müssen sie sich warm anziehen. Auch für Peter Struck sind die Grünen der Sündenbock. „Die überzogene Selbstdarstellung von Trittin hat geschadet“, sagte Struck und meinte damit dessen Rolle bei der Atompolitik. Vor ein paar Wochen hatte sich das noch ganz anders angehört. Da sagte Struck: „Der Umweltminister hat nur das getan, was in der Kanzlerrunde vereinbart worden war.“ Trittin solle wohl der Schwarze Peter zugeschoben werden.

Ein Sozialdemokrat, der nicht genannt werden möchte, sieht das Problem eher bei der SPD. Schröder könne nicht die neue Mitte hofieren, aber dann eine Politik betreiben, die der Mitte der Bevölkerung kaum zugute komme. Insbesondere die Steuerreform sei eine Enttäuschung für den Mittelstand. Kaum jemand glaube daran, daß sie neue Arbeitsplätze schaffen werde. Und der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz, schlägt vor: „Wir werden professioneller werden müssen.“ Markus Franz, Bonn