"Diese Art von Flackern"

■ Auftakt zur Berlinale: "Aimee & Jaguar" erzählt von der Liebe zweier Frauen in Nazideutschland. Regisseur Max Färberböck über Geschichten, Geschichte und Obsessionen

taz: Wie landet ein Fernsehregisseur beim Kino?

Max Färberböck: Seit meinem ersten Fernsehfilm gab es Anfragen in der Richtung, aber es war nix dabei, von dem ich dachte, das muß ich jetzt unbedingt machen. Es ging meist um Komödien, Sachen, die dann auch von anderen gemacht wurden, von „Das Superweib“ bis „Solo für Klarinette“. Aber für mich ist Kino nur eine Form unter anderen, wie Theater, Roman oder Tagebuchschreiben.

„Aimée & Jaguar“ orientiert sich an einem Buch. Wie sind Sie darauf gekommen?

Es war einer der Stoffe, die der Produzent Günter Rohrbach mir anbot. Erwischt hat er mich deshalb, weil ich selber vor zehn Jahren mal eine Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen geschrieben habe. Über zwei Hamburger Mütter, die nach einer gemeinsamen Urlaubsreise ihre Liebe erkennen. Daher war mir „Aimée & Jaguar“ inhaltlich nah. Der Stoff hat sozusagen mich gesucht, nicht umgekehrt.

Wie haben Sie ihn zu Ihrem Stoff gemacht?

Ich habe das Buch von Erica Fischer gelesen. Dann begannen die Überlegungen, wie man diese Geschichte, die sich über zwei Jahre erstreckt, in Filmzeit bringen kann. Der allererste Entschluß war, dies über die Rahmenhandlung zu tun, in der zwei alte Frauen sich Jahre nach dem Krieg wieder treffen. Ich habe nämlich beim Lesen des Buches gemerkt, daß die Liebesgeschichte zwischen Felice und Lilly nicht 1945 zu Ende war, sondern immer noch lebt, daß sie das Leben einer Frau 50 Jahre lang bestimmt hat. Nur weil die konventionelle Handlung 1945 aufhören würde, mit dem Abtransport von Felice, heißt das noch lange nicht, daß ich das auch tun muß.

Die Vorlage ist auch in diesem Fall nicht zwingend?

Das, was mich am Leben interessiert, ist mir wesentlich wichtiger. Es wäre ein Leichtes gewesen, 1945 aufzuhören, aber es würde der magischen Kraft, die diese Liebe hat, nicht gerecht. Das Mysterium dieser Liebe lebt weiter.

Der Erzählrahmen fungiert als historische Klammer, die den Holocaust, das KZ ausspart.

Von Anfang an war das Erzählsystem so geplant: Felice wird deportiert, danach gibt es einen Bruch, es geht zurück in die Gegenwart, wo die Erinnerung der heutigen Lilly Wust einsetzt. Ich wollte dabei nicht den Genozid und die Liebesgeschichte allzu nah zusammen bringen, weil wir damit in einer Erzählform stecken geblieben wären, die Bilder zum x-ten Mal bestätigt. Bilder, wo sich das Nazitum in schnaubenden Uniformträgern erschöpft, und wo viele dann auch innerlich abwinken. Es ging uns darum, das im Off zu lassen und nur zu erzählen, was es mit Lilly gemacht hat. Wenn man den Liebeswahn in der Art spürt, wie sie sagt „Wir gehören zusammen, nicht ihr“ — ich glaube, ich könnte nichts Dramatischeres erzählen.

Zu Beginn scheint die Liebesgeschichte tatsächlich eine Eskapade zu sein, also eine Flucht aus den bedrängenden Verhältnissen.

Das ganze Erzählprinzip des Films hat sehr viel damit zu tun, daß Vorgänge, die außen passieren, nach Innen verlegt werden. Ein Krieg passiert sozusagen wie Satzzeichen in diesem Film. Natürlich gehören die Bomben, die Brände und das über-Leichen- Steigen in diese Zeit, aber es ist nicht so, daß ich mich mit dem amerikanischen Actionkino oder Epos anlegen würde. Es treffen sich das Überzeitliche dieser Liebesgeschichte und das, was die historische Situation im Innern der Leute ausgelöst hat. Wenn man sieht, wie die durch brennende Straßen ziehen, um sich dann in einem Café in lockerer Weise unterhalten, ist das ein Zeichen dafür, wie Leute damals über solche Verhältnisse springen konnten, wollten — oder es eben nicht geschafft haben.

Wer liebt, hat es geschafft?

Da ist immer eine Irritation und Unsicherheit da. Das hat mit den verschiedenen Dimensionen zu tun, auf denen in diesem Film gespielt wird. Es ist selten nur die Liebe – bei Felice spielt immer ein Grad von Verfolgtsein mit und ein Grad von Verantwortung Lilly und den Kindern gegenüber. Eine drei- oder vierfache Spaltung, die in diesem Menschen geschieht, und die Maria Schrader eben in den Griff gekriegt hat. Lilly dagegen ist eine Frau, die immer ihre zweite Hälfte sucht, bis sie Felice trifft, ist sie ein halber Mensch. Es ist überhaupt nicht in ihrem System, daß sie lesbisch sein könnte.

Hatten Sie nie Angst, bloß lang und breit eine Art amourösen Tanz auf dem Vulkan zu zeigen — mit Nazideutschland als Staffage?

Darüber gab es durchaus Diskussionen mit der Produktion. Aber letztlich ist es nicht zu lang erzählt, es ist sozusagen der Weg der Leidenschaft. Das Erkennen, was los ist, und dann den Mut zu haben, die ersten Worte zu sprechen. In dem Moment, wo Lilly sagt: „Warum bedeuten Sie mir soviel?“ – in dem Moment ist das Eingeständnis da. Es geht aber immer auch um Bedrohung. Für Felice etwa geht sie davon aus, mit einer Nazigattin und Mutterkreuzträgerin — die noch dazu lange Zeit nicht weiß, daß sie Jüdin ist — eine Liebesbeziehung anzufangen. Diese Art von Flackern ist nicht nur das Flackern der Verfolgung und des Jüdischseins, sondern auch das Flackern der Verantwortung. Deswegen kann ich nicht der banalen Dramaturgie folgen und 1945 aufhören. Wenn einem das Leben so eine Geschichte schenkt, daß eine Frau fünfzig Jahre in ihrer Wohnung mit einem Gedanken und einem Wort lebt.

Sind Ihre Figuren Helden?

Die erzählerische Klammer ist deshalb so wichtig, weil die reale Lilly Wust mit dem Gefühl leben mußte, daß sie vielleicht auch Schuld trägt. Ich meine, nach Theresienstadt ins KZ zu fahren, um jemanden zu besuchen, wie sie das tut — das hat's in Deutschland nur einmal gegeben. Und vielleicht ist dieser Kommandant Heindl, bei dem sie vorgesprochen hat, rausgerannt und hat Felice suchen lassen. Vielleicht aber auch nicht. Da steht mir die Realität mit einem leichten Ton ihm Ohr, den ich nicht fliehen kann. Das heißt, ich bin irgendwann drauf gekommen, daß ich die Geschichte nicht erzählen kann, ohne in dem Punkt irgendeine Stellung zu nehmen. Deswegen fragt Lilly am Schluß im Gespräch: „Ist es meine Schuld?“ Und die Freundin antwortet, das habe sie sich immer gedacht, aber jetzt sei sie sich nicht mehr sicher. Weil eben niemand das Recht hat zu sagen, daß es so war. Natürlich war diese Liebe so obsessiv, daß sie zu jeder Wahnsinnstat fähig war, aber zu sagen, diese Obsession, diese irre Leidenschaft hat den Tod von Felice verursacht, ist nicht möglich. Interview: Gudrun Holz