Britische Marines und „nicht tödliche“ Militärhilfe

■ Im Bürgerkriegsland Sierra Leone entfaltet Großbritannien beträchtliche Aktivitäten

Berlin (taz) – Im westafrikanischen Bürgerkriegsland Sierra Leone rückt die frühere Kolonialmacht Großbritannien nahe an die Grenze eines militärischen Engagements. Das britische Verteidigungsministerium bestätigte gestern gegenüber der taz, daß britische Militärs regelmäßig in der umkämpften Hauptstadt Freetown präsent sind – offiziell in humanitärer Mission.

„Zwei bis drei“ Kommandos von je sieben Marines seien auf dem britischen Kriegsschiff HMS Westminster im Hafen von Freetown stationiert, sagte ein Ministeriumssprecher. Sie sicherten humanitäre Helfer, die von diesem Kriegsschiff aus mit einem britischen Militärhubschrauber Hilfsgüter in die Stadt liefern. „Sie haben eine Selbstschutzrolle“, sagte der Sprecher. „Wenn humanitäres Personal an Land geht, gewähren sie Schutz und Eskorte.“ Die Hilfsflüge geschähen „fast jeden Tag“.

Das britische Kriegsschiff HMS Westminster ist seit dem 7. Februar im Hafen der sierraleonischen Hauptstadt Freetown stationiert. Es löste das Schiff HMS Norfolk nach drei Wochen Einsatz ab. Die Umgebung Freetowns ist seit Anfang Januar Schauplatz blutiger Kämpfe zwischen der nigerianisch geführten Eingreiftruppe Ecomog und der sierraleonischen Rebellenbewegung RUF; die 800.000 Bewohner der Stadt sind von humanitärer Hilfe abhängig.

Im Januar hatte die RUF in einer Blitzoffensive versucht, Freetown zu erobern und die Regierung von Präsident Ahmed Tejan Kabbah zu stürzen. In Straßenkämpfen, bei denen Tausende starben und große Teile der Stadt zerstört wurden, vertrieb die Ecomog die Rebellen wieder. Die Ecomog- Gegenoffensive ist jedoch in den Hügeln um Freetown ins Stocken geraten. In der Stadt kursiert wieder Angst vor einem erneuten RUF-Angriff. Gestern wurde ein guineischer Ecomog-Kommandeur wegen Schmuggels von Militärmaterial an die Rebellen verhaftet. Nigeria, das die Ecomog kommandiert, hat wiederholt zu internationaler Hilfe für die Truppe aufgerufen.

In welchem Ausmaß Großbritannien Nigerias Hilferuf Folge leistet, ist in London noch nicht entschieden. Großbritannien ist einer der engsten Verbündeten des Präsidenten Kabbah in Sierra Leone und der ihn schützenden Ecomog. Die Ecomog hat seit September 1998 aus Großbritannien vier Millionen Pfund (elf Millionen Mark) erhalten. Das Geld diene, so ein Sprecher des Außenministeriums gestern, dem Kauf „nicht tödlicher“ Güter „im logistischen und Kommunikationsbereich“. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums versteht darunter zunächst harmlose Dinge wie Landkarten, gibt dann aber auch Lieferungen von Lastwagen zum Truppentransport zu. Eventuelle Ecomog-Bitten um noch direktere Militärhilfe würden „geprüft“.

Die britische Unterstützung der Ecomog bedeutet die Unterstützung einer Truppe, die bei der Schlacht um Freetown summarische Hinrichtungen von mutmaßlichen Rebellensympathisanten betrieben hat und immer noch betreibt. Die RUF hat Großbritannien zum Feind erklärt und behauptet, es ginge London um den Schutz der Aktivitäten britischer Diamantenkonzerne. Das britische Interesse an der Region ist in jüngster Zeit stark gewachsen; die Westafrika-Abteilung (ohne Nigeria) des britischen Außenministeriums wurde jüngst von drei auf sechs Mitarbeiter verdoppelt.

Regierungstreue Medien in Freetown rücken ihrerseits die sierraleonischen Rebellen in die Nähe französischer Interessen, welche über Liberia und Burkina Faso liefen. In Wahrheit arbeiten Großbritannien und Frankreich in Westafrika zusammen. Beide Länder trainieren gemeinsam regionale Friedenstruppen und planen die Zusammenlegung von Botschaften. Während Großbritannien die Ecomog in Sierra Leone stützt, baut Frankreich in Guinea- Bissau eine frankophone Ecomog- Truppe auf. Dominic Johnson