Schutz vor Risiken oder reiner Kommerz?

Morgen dürfte das Europaparlament ein Freisetzungsmoratorium für genmanipulierte Organismen ablehnen  ■ Von Wolfgang Löhr

Berlin (taz) – Für die europäische Gentech-Branche steht viel auf dem Spiel. Im Europäischen Parlament wird heute über eine Novellierung der europäischen „Richtlinie für die Freisetzung und Inverkehrbringung von gentechnisch veränderten Organismen“ debattiert. Bei der am Donnerstag auf der Tagesordnung stehenden Abstimmung wird es sich dann zeigen, ob die Europaparlamentarier dem Druck der Gentech-Lobby nachgeben und einige der in der Vergangenheit so häufig beklagten „Forschungs- und Vermarktungshemmnisse“ beseitigen oder doch den vor allem in den europäischen Nachbarstaaten immer lauter werdenden Rufen nach einem Moratorium für Freisetzungen folgen.

Mit der Abstimmung im Parlament fällt eine Vorentscheidung darüber, wie zukünftig in Europa mit gentechnisch veränderten Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen umgegangen wird: ob der Schutz vor unvorhersehbaren Risiken oder die kommerziellen Interessen der Gentech-Unternehmen im Vordergrund stehen. Ursprünglich war vorgesehen, mit der Neufassung der inzwischen neun Jahre alten Richtlinie 90/220 die Zulassungsverfahren für genmanipulierte Organismen zu „entrümpeln“. So beklagte die alte Bundesregierung immer wieder, daß die Genehmigungen viel zu lange dauern und zu aufwendig seien. Vor allem auf Betreiben der deutschen Regierungsvertreter wurde die Neufassung der Richtlinie in Angriff genommen.

Doch seitdem hat sich der Wind in Europa gedreht. Nachdem die ersten Gentech-Produkte in den Handel gekommen waren – Monsantos herbizidresistente Sojabohnen und der manipulierte Mais von Norvartis –, wurden die Gruppen der Kritiker in vielen EU-Mitgliedsstaaten immer größer. Österreich und Luxemburg verabschiedeten sogar ein Importverbot für manipulierten Mais und Soja, obwohl sie damit gegen die Freisetzungsrichtlinie verstießen und sich eine Klage der EU-Kommission einhandelten.

Das Oberste Gericht in Frankreich veranlaßte im vergangenen Jahr, daß Norvartis' Mais nicht in den Handel kam. Die Bauern mußten ihre Ernte abliefern, die bis zu einer endgültigen Gerichtsentscheidung, ob die Zulassung Rechtens war, vorläufig sicher verwahrt wurde. Für alle übrigen Gentech-Pflanzen erließ die französische Regierung ein Moratorium. Dänemark verbot alle Pflanzen, die ein Gen für eine Antibiotikaresistenz besitzen.

Auch in Großbritannien gilt de facto ein Freisetzungsverbot für alle Pflanzen, die mit Hilfe eines bakteriellen Gens widerstandsfähig gegen Raupen gemacht wurden. Die britische Gentech-Industrie hat zugesichert, sich freiwillig an diese Vereinbarung zu halten.

Lediglich an der deutschen Bundesregierung scheint diese Diskussion vorbeigegangen zu sein – obwohl jetzt Rot-Grün an der Regierung ist und die Gentechnologie in den vergangenen Jahren ein wichtiges Thema für Bündnis 90/Die Grünen war. Ohne das Engagement der Grünen wäre die Bundesrepublik wohl nicht in den Ruf gekommen, besonders gentechnikfeindlich eingestellt zu sein. Jetzt stehen die beiden für Gentechnik zuständigen Ministerien sogar unter grüner Regie, nämlich das Gesundheits- und Umweltministerium. Doch die Gentechnologie scheint für die Ökopartei kein Thema mehr zu sein.

Im Koalitionsvertrag, so mußten die Grünen nachträglich eingestehen, konnten sie bei der Gentechnik so gut wie keine ihrer Positionen verankern. Mehr noch: Die dem Gesundheitsministerium unterstellte Genehmigungsbehörde für genmanipulierte Organismen, das Robert-Koch-Institut in Berlin, ließ nach dem Regierungswechsel sogar noch verlauten, aufgrund der bisherigen Erfahrungen könne man ohne Bedenken die Zulassungsverfahren vereinfachen.

„Bei der Novellierung der Freisetzungsrichtlinie wird das Europaparlament in vielen Punkten sogar noch hinter die Position der EU-Kommission zurückfallen“, befürchtet nun die bündnisgrüne Europaabgeordnete Hiltrud Breyer. So habe die Kommission vorgeschlagen, daß künftig die Zulassung von genmanipulierten Pflanzen auf sieben Jahre befristet werden soll. Sie habe im Umweltausschuß des Straßburger Parlaments eine Befristung von fünf Jahren gefordert.

„Durchgekommen ist dann der Antrag der Sozialdemokraten, der nur alle zwölf Jahre eine Wiederbewertung des Antrages vorsah“, sagte Breyer, und das auch nur, wenn ein Verdacht besteht, daß diese Pflanzen ein gesundheitliches oder ökologisches Risiko sind. Für Breyer ist das ein „Kniefall vor der Gentech-Industrie“. Denn noch kurz vor der Abstimmung habe die Gentech-Lobby interveniert, um die befristete Zulassung zu verhindern.

Für die in der „Green Industry Biotechnology Platform“ zusammengeschlossenen großen Saatgutkonzerne ist diese Forderung nicht hinnehmbar. Damit, so heißt es in einem Brief an die Parlamentarier, sei das Risiko zu groß, daß sie ihre Investitionen nicht wieder hereinholen könnten.

Keine Zustimmung fand auch der Antrag, daß jedem Mitgliedsstaat die Möglichkeit eingeräumt werden soll, für einzelne Pflanzen ein Moratorium zu erlassen. „Dabei hat der gleiche Ausschuß vor einigen Monaten noch“, so Breyer, „das von Österreich ausgesprochene Importverbot für Gentech-Pflanzen gutgeheißen.“ Selbst die österreichischen sozialdemokratischen Europaabgeordneten hätten gegen diesen Antrag gestimmt.

Geht es nach den Wünschen der EU-Kommission und des Umweltausschusses, wird es zukünftig zwei Kategorien bei der Zulassung von Gentech-Pflanzen geben. Unter die erste Kategorie sollen alle genmanipulierten Organismen fallen, über deren „Unbedenklichkeit ausreichende Kenntnisse vorliegen“. Hier soll lediglich eine Mitteilung an die Kommission für die Marktzulassung genügen. Nur bei Pflanzen, für die wenige Daten vorliegen, soll eine Prüfung der Umweltverträglichkeit stattfinden.

Immerhin einen „Riesenerfolg“ verbucht die grüne Abgeordnete: nämlich daß der Umweltausschuß sich für eine „Umwelt- und Gefährdungshaftung“ ausgesprochen hat. Die Industrie soll damit verpflichtet werden, für ihre Produkte eine Versicherung abzuschließen. Sie soll für alle Schäden aufkommen, die durch die genmanipulierten Organismen verursacht werden.