Abmüdende Dichtung

Seit mehr als 30 Jahren arbeiten Hamburger Literaturforscher an einem vollständigen Wortschatz-Lexikon Goethes  ■ Von Eberhard Spohd

„Was wir treiben und tun, ist ein Abmüden; wohl dem, der nicht müde wird!“ Es scheint, als hätte Johann Wolfgang von Goethe diese Worte für die MitarbeiterInnen der „Hamburger Arbeitsstelle für das Goethe-Wörterbuch“ geschrieben. Immerhin arbeiten die tapferen Literatur-Don Quijotes seit über 30 Jahren an einem Wortschatz-Lexikon des Dichterfürsten.

Dabei handelt es sich nicht nur um eine Auflistung der ungefähr 90.000 Worte, die der Frankfurter verwandte. Denn eine solche gibt es längst. So weiß man, daß Goethe rund 50.000 Mal den Begriff „gut“ verwendet hat oder um die 350 Wörter bildete, die mit „halb-“ beginnen. Nun arbeiten die ForscherInnen an einem „Bedeutungswörterbuch, das die einzelnen Worte mit ihren Bedeutungsstrukturen angibt“, erläutert Georg Objartel, der Leiter der Forschungsstelle in Hamburg. Und das dauert seine Zeit: „Wenn der Personalstand bei 17 hauptamtlichen Mitarbeitern bleibt, dann sind wir nach unserer Rechnung im Jahre 2036 fertig.“ Intern hofft man aber, das Werk schon im Jahre 2032 vollendet zu haben. Dann feiert man Goethes 200. Todesjahr. „Wenn wir ihm das dann zu Füßen legen“, freut sich Objartel schon, „das wäre eine schöne Vorstellung.“

Als der Philologe Wolfgang Schadewaldt das Projekt 1946 vorstellte, war es eine Reaktion auf den Nationalsozialismus. „Die deutsche Sprache war damals vom Nazismus verhunzt“, gibt Objartel zu bedenken. Da galt es, der deutschen Sprache wieder ein Muster zu schaffen. Schadewaldt nannte das geplante Werk daher eine „Magna Charta des neueren Deutsch“.

Eine „illusionäre Idee“ wie Objartel im Nachhinein zugibt. „Die ersten Jahre waren verschenkt“, ärgert sich der Wissenschaftler, „damals gab es ja noch nicht einmal Kopiergeräte.“ Möglich wurde die intensive Arbeit erst seit Einführung der EDV. Wissenschaftlich anerkannt ist das Projekt längst. Wenn es in über dreißig Jahren fertiggestellt sein wird und dann zehn Bände umfaßt, soll nicht nur einen Überblick über Goethes Gedankenwelt geben.

„Letztendlich haben wir durch ein Lexikon von Goethes Wortschatz Einsicht in die Sprache der gesamten Goethezeit“, erklärt Objartel. Die wichtigste Motivation ist aber eine viel einfachere: „Es macht Goethe verständlich.“ Von einem Erwerb des Wörterbuches muß hier dennoch abgeraten werden. Der im Herbst erschienene Band 3 kostet immerhin 1080 Mark – „der Subskriptionspreis“.

Und eine Lektüre von Goethes Schriften ersetzt das Wörterbuch ohnehin nicht. Denn wie sagt unser aller Dichterfürst doch so treffend: „Wenn einem Autor ein Lexikon nachkommen kann, so taugt er nichts.“