"Diese Parallele zur Homophobie"

■ Eine Art Oper und Charaktere, die über ihre Grenzen gehen. Der türkische Filmemacher Kutlug Ataman über "Lola & Bilidikid"

Der türkische Regisseur Kutlug Ataman wurde 1961 in Istanbul geboren. Nach dem Militärputsch 1980 ging er nach Paris, wo er an der Sorbonne studierte. Anschließend ging er nach Los Angeles, wo er sein Filmstudium abschloß. Nach seinem Kurzfilm „La Fuga“ und dem ersten Spielfilm „Serpent's Tail“ war er im vergangenen Jahr mit einem sechsstündigen Videoprojekt auf der Biennale in Istanbul und in New York zu sehen. Ataman war der erste türkische Regisseur, der zur Biennale von Venedig eingeladen war.

taz: Wie kommt es, daß Sie sich als Nichtberliner so gut in den Lokalitäten der türkisch-berlinischen Transenszene und der schwulen Subkultur auskennen?

Kutlug Ataman: Ich habe für diesen Film fast zwei Jahre in Berlin verbracht. Einige der Schauspieler haben außerdem von berühmten Transvestiten und Bauchtänzern in der Türkei Nachhilfe bekommen, via Kulturtransfer sozusagen.

War Berlin Ihre erste Wahl als Schauplatz?

Zuerst dachte ich nicht an Berlin, aber auf jeden Fall an Deutschland. Um meine Geschichte zu erzählen, benötigte ich eine Parallele zur Homophobie in der türkischen Kultur. Wenn man an die türkische Minderheit in Deutschland denkt, dann ist da ständig davon die Rede, daß sich die Türken als Bürger zweiter Klasse behandelt fühlen. Meine Frage war: Wenn man sich darüber beklagt, warum macht man dann etwas ähnliches mit Leuten der eigenen Community?

Erklärt das, warum Sie in einer der letzten Szenen Murat und seine Mutter mit einem Pathos durch die Kreuzberger Taborstraße entschwinden lassen, das an die Filme von Yilmaz Güney erinnert?

Ich wollte schon so eine Wirkung erzeugen. Die Mutter hat nie den Mund aufgemacht, als es um ihren verstoßenen schwulen Sohn ging. Deshalb ist ihr Weggang schon eine Geste des Protests, die einer traditionellen türkischen Frau nicht zugebilligt wird.

Ihr Film ist eine Mischung verschiedener Genres. Im letzen Drittel ist er beinahe ein Actiondrama, während der Anfang wie ein trauriges Märchen beginnt.

Für mich ist es eigentlich eine Oper. Ich wollte die Charaktere bis an die Grenze ihrer Geduld bringen. Der Druck auf die Figuren baut sich kontinuierlich auf. Es ist kein Melodrama und kein übliches Actiondrama. Vielleicht ist es unterhaltsam, weil die Konventionen des Actionkinos benutzt werden.

Der 17jährige Murat macht im Verlauf des Films eine kathartische Entwicklung durch.

Murat muß durch die Hölle gehen. Er hatte die Wahl, in der türkischen Mittelschichtsphäre zu verbleiben und sich ordentlich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Stattdessen konfrontiert er sich mit der Wahrheit über sich selbst. Von da an bleibt ihm nichts anderes, als raus zu gehen und sich seinen eigenen Dämonen zu stellen. Lola, Bili und all diese Transvestiten die er dort trifft, sind die Halbgötter der Straße, ein urbaner Mythos. Und wenn es um Mythologie und Schöpfung geht, ist immer auch Gewalt im Spiel.

Sie haben nach dem Putsch 1980 die Türkei verlassen. Haben Sie eine Erklärung dafür, daß gerade Sie den ersten türkisch-berlinischen Film über diese Szene gedreht haben?

Als schwuler Mann in der Türkei aufzuwachsen hieß, sich als Außenseiter zu fühlen. Aber ich habe die Türkei verlassen, als ich 19 war und wurde ausgebürgert. Aber obwohl ich in den USA gut integriert war, bleibt man doch ein Außenseiter. Dieser innere staatenlose Zustand ist nicht immer einfach, aber er verschafft dir den Vorteil, Orte und Dinge mit all ihren Dimensionen zu begreifen. Als ich das Drehbuch schrieb, habe ich parallel auch in Los Angeles recherchiert, wo sich viele mexikanische Transvestiten prostituieren. Mich interessieren die Extreme der Gesellschaft, ganz unten und ganz oben.

Seit längerem leben Sie wieder in Istanbul. Wie unterscheidet sich die Situation dortiger Homosexueller von der türkischer Homosexueller in Deutschland?

Es ist gefährlicher, man wird mehr stigmatisiert. Speziell aus der Perspektive der Transvestiten und Transsexuellen. Die meisten wären gar nicht unbedingt Transvestiten, aber wenn sie vom Lande kommen, arm sind und ein so offensichtlich schwules Auftreten haben, sind sie praktisch inakzeptabel. Ihre einzige Chance, Geld zu verdienen, ist die Prostitution. Aber um in der Türkei als Mann anzuschaffen, müssen sie zum Crossdressing greifen, also sich als Frauen anziehen. Sie sind nicht wirklich Transvestiten, sondern schwule Männer in einer verwirrenden, namenlosen Situation. Mein Film reflektiert das. Und weil viele ganz einfache Leute vom Lande sind, organisieren sie sich auch nicht, um für ihre Rechte zu kämpfen. Man kann daran momentan nicht viel ändern. Schließlich sprechen wir von dem Land, in dem auch gebildete Leute gefoltert werden und inhaftiert werden. Interview: Gudrun Holz